Fünf und Funfzigstes Kapitel.

[164] Wie die Wohnung der Thelemiten war.


In Mitten des Hofs war ein herrlicher Brunnen von schönem Alabasterstein; darauf standen die drey Grazien mit den Hörnern des Ueberflusses: und gaben das Wasser aus Brüsten, Ohren, Mund, Augen und andern Oeffnungen des Leibes von sich. Der innere Bau des Hauses über dem Hofe stund auf mächtigen Pfeilern von Calzedon und Porphyr mit schönen antikischen Bögen, innerhalb welcher schöne[164] lange geräumige Gallerien waren, verziert mit Schildereyen, mit Hörnern vom Hirsch, Rhinozeros, Einhorn, Flußpferd, mit Elefantenzähnen und andern Merkwürdigkeiten. Das Frauenquartier ging vom Thurn Arktike bis zum Thor Mesembrine: im übrigen wohnten die Männer. Vor dem gedachten Frauenquartier, zu ihrer Augenweide waren zwischen den beyden ersten Thürnen außerhalb, die Uebungsplän, der Hippodromos, das Theater, die Schwimmplätz nebst den prächtigen Bädern zu dreyen Böden, wohl versehen mit allem Bedarf, und mit Myrrhen-Wasser die Hüll und Füll. Auf der Fluß-Seit war der schöne Lustgarten, und mitten darinn das artige Labyrinth belegen. Zumittelst der beyden andern Thürn das Ballspiel und der grosse Ballen. Dem Thurne Kryere gegenüber war der Fruchtgarten voller Obstbäum all am Quincunx angepflanzet: hinter demselben das grosse Gehäg von allen Arten Gewildes wimmelnd. Zwischen den dritten Thürnen war der Schießrain für Bogen, Büchs und Armbrust. Küchen und Kellnerey vor dem Thurn Hesperie, zu Einem Stock. Dahinter der Marstall: vor den Küchen die Falknerey von kunsterfahrnen Falkonieren versehen, und ward alljährlich von den Candiern, Sarmaten und Venetianern versorgt mit allen Sorten Mustervögeln, Adlern, Falken, Sperbern, Habichten, Sackern, Laneten, Schweimern, Schmerlein und andern, so wohl dressirt und abgericht, daß sie, wann sie zur Lust vom Schloß ins Feld ausflogen, auf alles stiessen was ihnen fürkam. Die Jägerey lag etwas weniges weiter nach dem Gehäge zu.

Alle Zimmer, Säl und Gemächer waren nach den Jahreszeiten verschiedentlich tapezirt, die Böden all mit grünem Tuch bedeckt, die Betten von Stickerey.

In jeder Hinterkammer hing ein krystallener Spiegel in feines Gold gerahmt, ringsum mit Perlen eingefaßt; und war so groß daß man sich drinn in Lebensgröß von Kopf zu Fuß beschauen konnte. Vor den Sälen des Frauenquartiers stunden die Haaraufputzer und Parfümirer, durch deren Händ die Männer gingen, wann sie die Frauen besuchen wollten. Dieselben besprengten alle Morgen die[165] Zimmer der Frauen mit Rosenwasser, mit Engel- und Pommeranzblüthwasser und reichten einer jeglichen das köstliche Räucherpfännlein dar, von allen Spezereyen duftend und aromatischem Wohlgeruch.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 164-166.
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