Zweytes Kapitel.

[188] Von Geburth des gestrengen Pantagruel.


Gargantua erzeugt in seinem fünfhundert vierundzwanzigsten Jahr seinen Sohn Pantagruel mit seinem Weibe Hängemunden, der Tochter des Amauroten-Königs in Utopien, die im Kindbett starb: denn er war so unmäßig groß und stämmig daß er nicht zur Welt konnt kommen ohn seine Mutter also mit zu ersticken. Aber damit ihr die Ursach und Bedeutung seines Namens, der ihm in der Tauf ertheilet ward, gründlich verstehen mögt, so sollt ihr wissen: es war im ganzen Land Afrika dasselbe Jahr so grosse Dürr, das sechsunddreyssig Monat, drei Wochen, vier Tag, dreyzehn Stunden und etwas weniger darüber ohn Regen verstrichen, bey so erschrecklicher Sonnengluth, daß die ganze Erd davon verdorrte.

Und kann zu Eliä Zeiten nicht ärgere Hitz als damals gewesen seyn. Denn es gab weder Blatt noch Blüth an einem Baum auf Erden mehr. Dem Gras entging das Grün, die Ström versiechten, die Quellen vertrockneten. Die armen Fischlein, ihres natürlichen Elementes entsetzt, vagirten auf Erden umher und schrieen erbärmlich. Die Vögel fielen aus der Luft für Mangel an Thau. Wölf, Hirschen, Füchs, Damhirschen, Eber, Hasen, Wiesel, Iltis, Dächs, Kanickel,[188] Marder und andres Wild fand man mit aufgesperrtem Maul in den Feldern liegen.

Hinsichtlich der Menschen aber war der Jammer erst groß: ihr hättet sie sehen die Zungen hängen, wie die Windhund wann sie sechs Stunden gelaufen. Mehrere sprangen in die Brunnen; andere verkrochen sich in Kühbäuch des Schattens halber, und nennt sie Homerus Alibantes.

Das ganze Land saß auf dem Sand. Die Müh und Angst der Sterblichen dem schauderhaften Verdursten zu steuern, war kläglich anzusehen. Denn man hätt alle Händ voll zu thun daß nicht der Weihbrunn in den Kirchen gar aufgeleckt ward. Doch wußten die Herren Cardinäl und der heilige Vater dafür bald so guten Rat, daß Niemand mehr denn einen Segen davon zu nehmen sich getrauet'. Ja, wenn ein Mensch herankam, hättet ihr wohl an zwanzig arme Durster hinter dem der das Wasser austheilt' offenen Mundes daherziehn sehen, ob sie ein Tröpflein erschnappen möchten, wie der reiche Mann, auf daß nichts umkäm. O seelig wer in diesem Jahr einen kühlen und vollen Keller hätt'!

Der Weltweise meldet, indem er die Frag aufwirft: warum das Meerwasser salzig sei, daß zu der Zeit als Phöbus seinem Sohn Phaeton die Führung seines Licht-Wagens anvertraut hab, ernannter Phaeton, ungeschickt in der Kunst, und die ekliptische Lini zwischen den beyden Wendekreisen der Sonnen-Sphär zu treffen nicht fähig, von seinem Weg ab, und der Erden so nah zu Leib gekommen sey, daß er alle darunter belegene Land aufs Trockne gesetzt und ein gut Theil des Himmels versengt hab, welches die Philosophen via lactea, und die Lifferloffer Sankt Jakobsstraß zu nennen pflegen. Wiewohl die Flottesten von den Poeten der Meinung sind daß es der Ort sey, dahin der Juno Milch gefallen als sie den Herkules säugen thät. Da dann[189] die Erde so erhitzt ward, daß sie in einen unmässigen Schweiß fiel und das ganze Meer ausschwitzt', welches von da ab salzig ist: denn Schweiß ist allzeit salzig, wie ihr für wahr befinden werdet, wenn ihr euern eignen kosten wollt, oder auch den der Venerischen, während man sie im Schwitzbad lauget. Ist mir all eins.

Beynah ein Gleiches begab sich nun im selbigen Jahr. Denn eines Freytags als alle Welt der Andacht pflog und ein schöner Umgang mit Litaneyen und Inprofundis schockscheffelweis gehalten ward, Gott den Allmächtigen beschwörend daß er in solchem Misgeschick mit seinem Auge der Erbarmung sie gnädiglich ansehn wollt: da sah man handgreiflich dicke Wassertropfen der Erd entquellen, wie wann eins stark schwitzet. Und fing das arme Volk sich schon zu freuen an, als wenn es ihnen zum Heil und Labsal gewesen wär. Denn Etliche sprachen, weil die Luft nicht einen Tropfen Feucht mehr hätt, davon noch Regen zu hoffen stünde, hülf nun die Erd dem Mangel nach: andre Leut, die Studirten, meinten es wär halt Antipoden-Regen, wie Seneca im vierten Buch Quaestionum naturalium schreibt, wo er vom Quell und Ursprung des Nils spricht. Aber sie waren angeführet. Denn als nach abgehaltenem Umgang alles den Thau zu schöpfen lief und in vollen Zügen trinken wollt, fanden sie daß es nichts andres war denn Herings-Lake, so bitter und salzig wie kein Seewasser nimmermehr. Und weil auf eben diesen Tag Pantagruel geboren ward, gab ihm sein Vater diesen Namen; denn Panta bedeutet auf Griechisch Alles, und Gruel in Hagarenischer Sprach so viel als durstig: anzuzeigen, daß alle Welt in seiner Geburtsstunde durstig gewesen; auch weil er zugleich im prophetischen Geist zum voraus sah daß er dereinst Beherrscher der Durstigen seyn würd. Welches ihm ausserdem[190] noch durch ein offenbares Zeichen in eben der Stund erwiesen ward. Denn als seine Mutter Hängemunde mit ihm im Kreissen begriffen war, und die Hebammen seines Empfanges harrten, kamen aus ihrem Leib voraus achtundsechzig Saumroßtreiber, und jeder führt' am Halfter ein Maultier mit eitel Salz beladen nach. Auf diese folgten neun Dromedar mit Schunken und geräucherten Rindszungen, sieben Kamel voll kleiner Ael, drauf fünfundzwanzig Karren mit Zwiebeln, Lauch, Porré, Knobloch und Schalotten. Welches die Hebammen baß erschreckt' und ihrer Etliche sprachen zusammen: Hie hats gut Futter, weil wir zeither so schläfrig getrunken, nicht wie die Unken. Dies Zeichen bedeutet uns nur Glück. Es sind Wein-Sporen. – Und wie sie so noch unter einander plauderten, siehe! da trat heraus Pantagruel, über und über rauch wie ein Bär. Und Eine prophezeyet' und sprach: Er kommt mitsammt dem Haar zur Welt, er wird erstaunliche Dinge tun und, wenn er lebt, zu Jahren kommen.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 188-191.
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