Drittes Kapitel.

[191] Wie Gargantua um sein Weib Hängemunden Leid trug.


Wer aber über Pantagruels Ankunft gar außer sich und schier verdutzt war, das war sein Vater Gargantua. Denn eines Theils sah er sein Weib Hängemunden todt, und andern Theils seinen Sohn Pantagruel geboren, so schön und groß – da wußt er nicht was er beginnen noch sagen sollte. Und war der Zweifel der ihn in seinen Gedanken peinigt': ob er müßt weinen für Traurigkeit über sein Weib, oder lachen für Freuden über seinen Sohn. Auf beyden Seiten hätt er sophistische Argument, und würgt' daran; denn er[191] verstund sich sehr wohl darauf in modo et figura, aber er konnt sie nicht lösen; und blieb also drinn hangen wie die Maus im Pech, oder ein Habicht in der Schlingen.

Muß ich itzt heulen? sprach er. Ja. Denn warum? Mein theures Weib ist todt, die beste hin, die beste her, die man auf Erden nur finden mocht. Ich werd sie nimmer wiedersehen, krieg auch so eine halt nimmer wieder: ist mir ein unschätzbarer Verlust! O du mein Gott, was thät ich dir, daß du mich also hart bestrafest? Warum nahmest du mich nicht eher von hinnen? Denn ohne Sie zu leben ist mir nur ein Siechthum. Ha Hängemunde, mein Schatz, mein Herzblatt, meine Freundin, mein lieb klein Schneckel! (wiewohl sie dessen gut und gern drey Morgen und zween Ruthen hätt), mein zartes Lämmlein, meine Mütz und treue Stütz, mein Strumpfsock, meine Papusch, mein Hos! mein Hosenlätzel! mein altes Schätzel! ach niemals werd ich dich wiedersehen. Ha du armer Pantagruel! Du bist um deine liebe Mutter, um deine süsse Amm gekommen, um deine vielgeliebte Dam. Ha falscher Tod bist du so tükisch, handelst du also schmählich an mir, daß du mir diese rauben mußt, der die Unsterblichkeit mit Recht gebühret hätt?

Und wie er dieß sprach, heult' er wie eine Kuh. Doch plötzlich lacht' er wieder hell auf wie ein Kalb, wenn ihm Pantagruel einfiel. Ho! Ho! rief er, mein kleiner Sohn, mein Cujonel, liebs Hosseloddel, wie bist du so artig! Wie dank ich Gott daß er mir einen so schönen, muntern, lachenden, artigen Sohn gegeben. Ho ho ho, wie bin ich fröhlig! ho, zu Trinken! Lassen wir alle Traurigkeit fahren: bring vom besten, spühl die Gläser, deck den Tisch, jag die Hund 'naus, blas das Feuer auf, stecks Licht an, mach die Thür zu, schneid die Suppen ein, laß die Armen 'rein, gieb ihnen, was sie haben wollen. Da nimm mein Kleid, daß ich mirs leicht mach, daß ich mich besser umthun kann und die Gevatterinnen bedienen.

Bey diesen Worten hört' er die Mementos und Litaneyen der Priester welche sein Weib zu Grabe trugen. Da vergaß er der guten Fürsätz wieder, ward plötzlich wie weit weg verzückt und sprach: Herr Gott! muß ich mich dennoch[192] von neuem betrüben? Dieß verdrießt mich. Ich bin nit mehr jung, ich werd nun alt, das Wetter ist bös, ich könnt ein Fieber davon han, so läg ich auf der Nas. Bey meinem Ritterwort, besser ist, man weint was weniger und trinkt dafür was Wein mehr. Mein Weib ist todt. Wohlan! So Gott mir – da jurandi – mein Heulen weckt sie doch nimmer auf; hats gut, ist im Himmel zum wenigsten, wenn nicht noch höher; sie betet für uns, ist selig, kümmert sich weiter nicht um unsre Müh und Herzeleid: es wird uns eben nix bessers gereicht. Nu Gott helf weiter, ich muß schaun wie ich zu einer andern komm. Aber was ich euch sagen wollt, sprach er zu den Hebammen, (na wo seyns? kann euch nit sehen, ihr lieben Leut) gehet ihr mit bey ihr zur Leich; ich will derweil meinen Sohn hie boyen, denn ich spür einen grausamen Durst, und könnt leicht krank werden. Aber trinket zuvor noch eins! es wird euch gut thun, dieß glaubt mir auf mein Ehrenwort. – Ihm also folgsam gingen sie mit zu der Leich und zum Begräbniß, und der arme Gargantua blieb bey Haus und macht' derweil das Epitaphium welches er ihr wollt setzen lassen, lautend wie hie geschrieben stehet:


Sie starb daran, die edle Hangmundine,

Am Kindesweh, mein Weiblein schlecht und recht:

Denn ihr Gesicht glich einer Violine,

Ihr Leib war Spanisch, Bauch von Schweizer-G'schlecht.

Nun bittet Gott daß er ihr schenken möcht

Nach seiner Huld all ihre Schuld hienieden.

Hier liegt ihr Leib; sie lebt' in ihm gerecht,

Und starb im Jahr und Tag da sie verschieden.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 191-193.
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