Viertes Kapitel.

[350] Fortsetzung der Panurgischen Lobred auf die Schuldner und Gläubiger.


Denket euch nun im Gegenteil eine andre Welt, da jeder leiht, jeder schuldig ist, da eitel Schuldner und Gläubiger wohnen. O welche Harmoni wird da in den stetigen Himmelsläufen seyn! Mir däucht ich hör sie so gut als Plato weiland. Welche Sympathi der Element! O wie wird da Natur ihrer Werk und Wesen sich freuen! Ceres kornschwer, Bacchus weinreich, Flora voll Blumen, Pomona fruchtbar, Juno in ihrer heitern Luft hell, heilsam, lustig seyn! Ich geh unter in diesen Gesichten. Unter den Menschen Fried,[350] Eintracht, Liebe, Treue, Ruh, Banketlein, Schmäuslein, Tractament, Lust, Wonn, Gold, Silber, Scheidemünz, Ring, Ketten, Kleinod', Kaufmannsgüter werden aus Hand in Hand trottiren. Da wird kein Krieg, Proceß noch Streit seyn, kein Wuchrer, Knicker, Filz noch Hartherz. Ey wahrer Gott! und dieß wär nicht das güldne Alter? das Reich Saturns, das Urbild der Olympischen Zonen wo jede andre Tugend aufhört, blos Lieb allein herrscht, thront, siegt, waltet, triumphiret? Alle werden dann gut seyn, Alle schön und gerecht. O glückliche Welt! o der glückseligen Leut darauf! O dreymal selig und viermal! Ist mir doch als wär ich schon drinn. Und schwör euch bey dem höchsten Geiß, daß wenn diese himmlische, Allen leihende, nichts versagende Welt einen Papst hätt mit seiner Huck voll Cardinäl und dem heiligen Synodus zur Seiten, ihr würdet da in wenig Jahren die Heiligen dichter wachsen sehn, mehr Wunder thun, mit mehr Lectionen, Votis, Kerzen und Kreuzen dotiret, als die der neun Bretanischen Sprengel allzumal, ich nehm allein Sanct Ivo aus. Bitt euch, erwäget wie der edle Patelin, als er des Wilhelm Joussaulm's Vater vergöttern und mit unsterblichem Lob in den dritten Himmel erheben wollt, nichts weiter sprach als:


Sonder Müh

Sein Waar er jedem Kunden lieh.


O schönes Wort! Nach diesem Muster denkt euch itzt unsern Mikrokosmus, das ist die kleine Welt, den Menschen, in allen seinen Theilen als Borgern, Schuldnern, Gläubigern, das ist in seinem Naturstand; denn nur zum Leihen und Borgen schuf Natur den Menschen. Grösser kann nicht die Harmoni der Sphären als seines Haushalts seyn. Des Stifters dieses Mikrokosmi Absicht war: die Seel darinnen, die er als Gast hineingethan, zu erhalten, und das Leben. Das Leben bestehet in Blut. Blut ist der Sitz der Seelen:[351] Blut demnach zu brauen in einemfort, bezielt allein all Müh und Arbeit dieser Welt. Bey diesem Brauwerk nun hat jedes Glied und Theil sein beschieden Amt, und dieß ist ihre Hierarchi, daß sie ohn Unterlaß eins dem andern leihen, eins dem andern borgen, jedes des andern Schuldner seyn soll. Den zur Verwandlung in Blut geschickten Stoff und Malz giebt die Natur her, ist Brod und Wein. In diesen beyden sind alle Arten von Nahrungsmitteln mit einbegriffen, und kommt davon das Wort Companaige in der Gothen-Og-Sprach. Solche zu suchen, herzurichten und gar zu kochen arbeiten die Händ, ergehn sich die Füß und tragen diese ganze Maschin; die Augen leuchten zu allem für. Der Appetit ermahnet in dem Magenmund (mittelst ein wenig säuerlicher Melancholi so die Milz ihm zuführt) daran, die Speissen zum Mund zu bringen. Die Zung erprobt, die Zähn zerkaun sie: der Magen empfängt, verdauet, chylifiziret sie, die mesaraischen Adern saugen daraus was gut und diensam, mit Hinterlassung alles Unraths, welcher durch expulsivische Kraft auf eigenen Wegen erlediget wird, Führens darauf der Leber zu, die verwandelt es abermals und macht Blut daraus. Was meint ihr wohl, wie groß itzt dieser Diener Freud seyn müß, wenn sie den güldenen Strom sehn, der ihr alleinig Labsal ist? Mehr freun sich die Adepten nicht, wenn sie nach langer Sorg und Müh und schweren Kosten in ihren Oefen sich das Metall verwandeln sehn. Sofort ermannet und rüstet sich nun jedes Glied sothanen Schatz von neuem zu läutern und zu verfeinern. Die Nieren ziehn das Wässrige, (ihr nennets Harn) durch die emulgierenden Vasa heraus und seichens hinunter durch die Harngäng. Unten findets ein schicklich Receptaculum, die Blas, die es zur rechten Zeit entleert: die Milz entfernt davon das Erdige, die Kohl, die ihr auch Melankol heißt. Das Gallenbläslein scheidet den übrigen Choler daraus. Dann kommt es zu noch besserer Läutrung,[352] in eine andre Werkstatt, das Herz, welches durch seine systolischen und diastolischen Puls es wärmt und so verfeinert, daß es im rechten Ventriculo zur Reif gebracht und durch die Venen in alle Glieder versendet wird. Ein jeder Gliedmaas ziehets an sich, nährt sich davon nach seiner Weis; Fuß, Hand, Aug, alles borget nun auf einmal, was vorhin lieh. Im linken Ventricul wirds so fein, daß man es spiritualisch nennet, und die Arterien führens von da in alle Glieder, das andre Blut in den Venen zu lüften und zu erwärmen. Die Lung mit ihrem Gebläs und Flügeln läßt nimmer ab es zu erfrischen. Zum Dank für diesen Liebesdienst schickt ihr das Herz das Best davon, durch die arterialische Vena. Zuletzt wird es im Wundernetz so fein geläutert, daß darnach die thierischen Geister draus entstehn, vermittelst welcher sie denkt, sinnt, urtheilt, folgert, erwägt, beschließt und sich zurückerinnert. Heiliger Gott! Ich versink, ich ersauf, ich verlier mich schier wenn ich mich in den tiefen Abgrund dieser leihenden, dieser borgenden Welt hinab wag. Glaubt es, Leihn ist göttlich: Borgen ist eine heroische Tugend! – Dieß langt noch nicht. Denn diese Leih- und Borgwelt ist so gut, daß sie, wenn sie dieß Nahrungswerk vollbracht hat, auch den noch Ungeborenen schon zu leihn bedacht ist, und durch Darlehn womöglich sich verewigen und mehren will in Ebenbildern, die ihr gleichen, das ist in Kindern. Zu dem End sondert, darbt und spart dann jedwedes Glied sich einen Theil von seiner edelsten Nahrung ab und schickts hinunter, wo Natur dafür die schicklichsten Gefäß und Receptakel bereitet hat, da es dann durch viel krumme Gäng und Windungen in die Zeugungsglieder eintritt, und so bey Mann als Weib den rechten Ort und die wahre Gestalt zu Erhaltung und Fortpflanzung des menschlichen Geschlechtes findet. Geschiehet alles durch Leihn und Borgen hin und wieder, davon es[353] auch die eheliche Schuld genannt wird. Wer's weigert, den belegt Natur mit Straf, mit strenger Leibesqual und Wahnwitz. Freud, Entzücken, Wollust giebt sie dem Leihenden zum Lohn.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 350-354.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gargantua und Pantagruel
Gargantua. Pantagruel
Gargantua und Pantagruel, 2 Bände
Gargantua und Pantagruel
Gargantua und Pantagruel, in 2 Bdn.
Gargantua und Pantagruel