Sieben und Dreyssigstes Kapitel.

[467] Wie Pantagruel Panurgen beredet sein Heil mit einem Narren zu versuchen.


Auf dem Weg dahin in der Galleri sah Pantagruel Panurgen, der sich ganz dämlich wie im Traum gebährdet' und mit dem Kopfe wackelt'; und sprach zu ihm: Ihr kommt mir für wie eine Maus im Pech: je mehr sie sich draus zu sitzen strebt, je tiefer verkleibt sie drinn. Also auch ihr, der ihr euch aus den Zweifelsknoten zu befreyn strebt, versinket nur tiefer denn zuvor darinn; und weiß kein Mittel mehr ausser einem. Hört an. Ich hab wohl öfters schon im gemeinen Leben sagen hören, ein Narr könnt einen Weisen lehren. Weil euch nun der Weisen Bescheid nicht aus dem Grund zufrieden stellt, berathet euch mit einem Narren. Vielleicht, so ihr dieß thut, daß ihr nach Wunsch erbauet und befriediget werdet. Durch Narren-Rathschlag, -Eingebung und Phrophezeyung wißt ihr wohl, wie viele Fürsten, Könige und Staaten schon erhalten, wie viele Schlachten gewonnen, wie viele Zweifel erlediget worden. Ich brauch euch nicht erst lang der Beyspiel zu gemahnen; ihr nehmt mit diesem Grund fürlieb: Wie nämlich ihr den Menschen, der sein häuslich und Privat-Wohl fleissig in Obacht nimmt, attent und wachsam auf seine Wirthschaft ist, die Gedanken zusamenhält, keinen Vortheil Geld und Gut zu erwerben und aufzuhäufen verabsäumt, mit Bedacht den Uebeln der Armuth vorzubauen weiß; wie ihr den zeitlich weise nennt, wie thörig er auch nach dem Urtheil der himmlischen Geister[467] immer seyn mag: so muß man, um vor diesen weise, das ist wissend und fürwissend durch göttliche Inspiration, und fähig der Gab der Weissagung zu werden, sich selbst vergessen, aus sich herausgehn, die Sinnen von allen irdischen Trieben läutern, den Geist befreyn von aller Menschen-Sorg, alles gerad seyn lassen. Welches man der Narrheit gemeinlich zuschreibt. So ward Faunus, der grosse Prophet und Sohn des Lateinerkönigs Picus, vom rohen ungelehrten Haufen Fatuellus zubenannt.

So sehen wir auch bei den Gauklern, wann sie ihre Rollen vertheilen, wie die Person des Dummen und Gecken allzeit vom Kleinsten und Fertigsten in der Gesellschaft agiret wird. So sagen die Mathematici, die Könige und Narren hätten einerley Horoskop, und führen das Beyspiel des Aeneas und Choröbus an, von dem Euphorion sagt daß er ein Narr gewesen, als unter Einem Zeichen geboren. Ich werd mich nicht weit vom Zweck verirren, wenn ich euch erzähl was Jo. André über einen Canon eines gewissen päpstlichen Rescriptes an den Rocheller Stadtrath und Bürgerschaft, nach ihm Panormus zum selbigen Canon, Barbatias zu den Pandekten, und letzthin Jason in seinen Consilien, vom Alt-Jahn schreiben. Er war ein berühmter Narr zu Paris, und des Caillette Eltervater. Der Fall ist dieser:

Zu Paris, in der Garküch zum kleinen Schlössel verzehrt' ein Rauhknecht am Heerd des Garkochs sein Brod beim Bratenrauch, und fand es, also durchräuchert, gar lecker. Der Garkoch ließ ihn gewähren. Zuletzt, als er sein Brod nun aufgespeißt, erwischt' der Koch den Rauhknecht beym Kragen, verlangt' die Zahlung für seinen Rauch. Der Rauhknecht[468] sprach, er hätt ihm keinen Schaden gethan an seinem Fleisch, ihm von dem Seinen nichts entwendet, sey ihm nichts schuldig.

Der Rauch um den er stritt, flög auf, er ging verloren so oder so; nie hätt man noch in Paris erhört daß Bratenrauch wär verhökert worden. Der Koch entgegnet', er wär nicht gehalten, mit seinem Rauch die Rauhknecht zu füttern, und schwur, wo ers ihm nicht bezahlt', ihm sein Räff zu nehmen. Der Rauhknecht zieht seinen Knüppel und setzt sich zur Wehr.

Der Zank ward hitzig, das Pariser Maulaffenvolk drängt' sich von allen Enden zu dem Streit herbey, und auch Alt-Jahn, der Narr und Bürger von Paris, kam wie gerufen, mit dazu. Wie den der Koch sah, frug er den Rauhknecht: Wilt du hie diesen edeln Meister Alt-Jahn unsern Zwist schlichten lassen? – Beim Antlitz Gottes, sprach der Rauhknecht, dieß will ich. – Alt-Jahn, als er nun den Handel vernommen, befahl dem Rauhknecht aus seinem Gurt ihm ein Stück Geld zu langen. Der Rauhknecht behändigt' ihm einen Philipps-Tornosen. Alt-Jahn nahm ihn, legt' ihn sich auf die linke Schulter, als wollt er proben ob ers Gewicht hätt; drauf klingt' er ihn mit der rechten Hand auf die flache Link', als wollt er sehen ob er die richtige Währung hätt; drauf hielt er ihn dicht an seinen rechten Augapfel, ob er auch wohl geprägt wär. Allem diesen schauet' das Maulaffenvolk in tiefstem Schweigen, der Koch mit fester Zuversicht, der Rauhknecht voll Verzweiflung zu. Zuletzt ließ er das Geldstück mehrmals auf den Heerd aufklingen. Jetzo, mit Präsidenten-Majestät, die Narrenkolb in der Faust, als wenn es ein Zepter wär, und seine Gogel von Affenpelz übers Haupt gezogen mit Oehrlein dran von gereiftem Papier wie die Orgelpfeifen, räuspert' er sich vorläufig zwey bis dreymal laut, dann sprach er mit vernehmlicher Stimm: der Hof entbeut euch, daß der Rauhknecht, der sein Brod bey dem Rauch des Bratens verzehret hat, den Koch zu Recht bezahlt hab mit dem Klang des Geldes. Und ist sothanen[469] Hofs Befehl, ein jeder geh in sein vier Pfähl. Ohn Kosten. Aus Ursach.

Dieß Urthel des Pariser Narren hat den ernannten Doctoren so gerecht und billig, ja so erstaunenswerth bedünket, daß sie, im Fall auch der Handel selbst im Parlament gedachten Ortes, oder vor der Römischen Rota, ja vor dem Areopagus entschieden worden wär, bezweifeln ob sie darinn gerechter hätten erkennen mögen. Dieserhalb bedenket euch, ob ihr nicht auch von einem Narren Rath wollt nehmen.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 467-470.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gargantua und Pantagruel
Gargantua. Pantagruel
Gargantua und Pantagruel, 2 Bände
Gargantua und Pantagruel
Gargantua und Pantagruel, in 2 Bdn.
Gargantua und Pantagruel