Zwölftes Kapitel.

[67] Wie Pantagruel nach Notarien ging, und von seltsamer Lebensart der Schick-aner.


Unsre Straß weiter ziehend gingen wir Tags drauf nach Notarien, welches ein ganz verschmatert und verschmiertes Land ist; ich konnt nichts davon erkennen. Da sahen wir Notaner und Schick-aner, das waren sehr borstige Leut; sie boten uns weder zu Trinken noch zu Essen an. Blos, unter unzähligen gelehrten Reverenzen sagten sie uns, daß sie uns all zu Diensten stünden für Geld. Cin Dolmetsch unter uns erzählt' dem Pantagruel wie dieß Volk fast seltsamer Weis sein Brod verdient', und zwar im graden diametrischen Widerspiel der Romicolen. Zu Rom verdienen unzählige Leut ihr Brod mit Giftmischen, Schlagen und Töden. Die Schick-aner verdienen's mit Geschlagen werden; dergestalt, daß wenn sie einmal eine lange Weil ohne Prügel blieben, sie samt ihren Weibern und Kindern elendiglich Hungers sterben müßten.[67]

So geht es ihnen, sprach Panurg, wie jenen Kerls die, nach Galenus, den hohlen Nerven nicht auf den Circul des Aequators spitzen können, wenn sie nicht weidlich gefochtelt werden. Nun beym Sanct Thibalt! mich könnt Einer auf die Manier just umgekehrt aus dem Sattel peitschen, zu allen Teufeln.

Die Art ist, sprach der Dolmetsch, diese: Wenn irgend ein Mönch, Pfaff, Wuchrer oder Anwalt einen Edelmann seines Landes turbiren will, schickt er ihm dieser Schick-aner Einen. Der Schick-aner lädt ihn vor, citirt, schimpft, schmäht ihn unverschämt, kraft seiner Instruktion und Vollmacht, so lang bis endlich der Edelmann, wenn er nicht vor den Kopf geschlagen und dümmer denn ein Kaulquapp ist, ihm die Bastonnad muß geben, oder Schwertstreich über'n Kopf, oder den Steigriem in die Waden, oder besser, ihn aus den Zinnen und Fenstern seines Schlosses werfen. Wie dieß geschehn, flugs ist mein Schick-an reich auf vier Monat, als wenn die Stockschläg recht seine Ernt und Atzung wären. Denn von dem Mönch, dem Wuchrer, dem Anwalt erhält er ein sehr gutes Salar, und von dem Edelmann Schmerzengeld, zuweilen ein so unbillig hohes, daß der Edelmann dadurch um Haus und Hof kommt, mit Gefahr elend im Kerker zu verfaulen, als wenn er den König geschlagen hätt.

Für solchen Unfug, sprach Panurg, weiß ich ein sehr probates Mittel, das einst der Herr von Basché braucht'. – Und welches? frug Pantagruel. – Der Herr von Basché, sprach Panurg, war ein tugendhafter, muthiger, hochherziger Ritter. Als er einst aus einem langen Krieg nach Haus kam, in dem der Herzog von Ferrara sich mit dem Beystand der Franzosen tapfer gegen Papst Julius des Zweyten Wuth vertheidigt hätt, ward er tagtäglich vorgeladen, citirt, beschickan't; jenachdem den feisten Prior von Sainct Louant dazu die Laun und der Kitzel ankam.

Eines Tages, während er mit seinen Leuten das Frühmahl hielt (denn er war gütig und wohlgesinnt) ließ er euch[68] seinen Bäcker rufen, namens Loire, nebst dessen Weib, und dem Pfarrer des Kirchspiels, namens Oudart, der ihm, wie damals in Frankreich der Brauch war, als Kellermeister und Schreiber diente; und sprach in seiner Cavalier und andern Diener Beyseyn zu ihnen: Kinder, ihr seht was für Verdruß mir diese Hunds-Schick-aner täglich anthun. Ich bin schlüssig worden, und will, wofern ihr mir nicht beysteht, gar aus dem Land gehn, mich zum Sultan, und allen Teufeln schlagen. – Also das nächste Mal wann sie wiederkommen, halt euch fertig, ihr Loire, mit euerm Weib euch einzufinden in meinem großen Saal, in euern Hochzeitkleidern, wie wenn man euch trauen wollt, und wie ihr zuerst getraut seyd worden. Hie habt ihr hundert Goldgülden, nehmet; ich schenk sie euch, euer gutes Zeug im Stand zu halten. Ihr Herr Pfarrer Oudart, säumet auch nicht in eurer guten Stol und Chorhemd, und mit dem Weihbrunn euch einzustellen, als wenn ihr sie copuliren wolltet. Ihr, Trudon, (so hieß sein Heerpauker) kommt deßgleichen mit eurer Pauk und Pfeif. Und wenn der Segen gesprochen, die Braut geküßt ist, gebt ihr beym Paukenschall euch all einander das Hochzeitgedächtniß, die kleinen Faustschläg; darnach wird euch das Nachtbrod nur desto besser schmecken. Wenn aber die Reih an den Schick-an kommt, dann schlagt mir zu wie auf alt Eisen; schenkt ihm nichts, pufft, kufft und wamst ihn was ihr könnt, ich bitt euch drum. Da nehmt, ich geb euch diese jungen Rüsthändschlein: sie sind mit Geisfell überzogen; zählt eure Streich nicht lang, schlagt rechts und links drauf los wie's fällt; Den werd ich für meinen treuesten Diener halten, der ihn am besten trumpft. Und sorgt nicht daß die Justiz euch dieserhalb zur Red werd setzen, Ich steh für All. Die Schläg gebt ihr ihm lachenden Muthes, wie es auf allen Hochzeiten Sitt ist.

Aber, frug Oudart, woran sollen wir den Schick-an kennen? denn alle Tag kommen ja Leut von allen Enden hieher in euer Haus. – Ich hab es wohl erwogen, antwort Basché. Wenn einer hie vor die Pfort zu Fuß, oder auch schlecht beritten wird kommen, mit einem grossen breiten Ring von Silber am Daumen, der ist der Schickan.[69] Der Pförtner läßt ihn höflich ein, und zieht die Schell. Dann macht euch fertig, eilt in den Saal und führet mir eure Tragikomödi auf, wie ichs euch angewiesen hab.

Denselben Tag noch fügt' es Gott und führt' einen alten, dicken, rothen Schick-an her. Er schellt' am Thorweg, der Pförtner erkannt ihn alsobald an seinen großen schmierigen Gamaschen, an seiner schlechten Mär, an einem leinenen Sack voll Citationen, der ihm am Gurt hing, sonderlich aber am grossen Ring von Silber an seinem linken Daumen. Der Pförtner neigt sich tief vor ihm, er läßt ihn höflich, fröhlig ein, zieht dann die Schell. Auf dieß Signal werfen sich Loire und sein Weib in ihre guten Kleider, treten sehr gravitätisch in den Saal. Oudart hängt Stol und Chorhemd über; wie er aus seiner Schreibstub tritt, begegnet er dem Schick-an, führt ihn mit sich hinein in seine Schreibstub, setzt ihm da weidlich zu trinken für, derweil man sich allerseits behandschucht, und spricht zu ihm: Ihr hättets nicht besser treffen mögen; heut hat unser Herr seinen guten Tag, es wird bald bey uns hoch hergehn, wird alles mit Scheffeln gemessen werden: wir han heut Hochzeit; trinkt, langt zu, seyd lustig.

Während Schick-an trank, und Basché all seine Leut im Saal in der gehörigen Ordnung sah, ließ er den Oudart rufen. Oudart kommt mit dem Weihbrunn, Schick-an folgt ihm. Der, wie er in den Saal eintritt, macht einen Haufen tiefer Kratzfüß, citirt den Basché. Basché macht ihm die größten Caressen von der Welt, schenkt ihm einen Engel, bittet ihn dem Contrakt und der Trauung mit beyzuwohnen. Wie auch geschah. Zu guter Letz gings an ein Fäusteln, und als die Reih an den Schick-an kam, ward er mit schweren Händschelpüffen so zugedeckt, daß er ganz mürb und morsch auf dem Platz blieb; ein Aug ihm butterbraun gestossen, acht Rippen zerschroten, das Brustbein zerknickt, die Schulterblätter in vier Stücken, der untere Kiefer in drey Fetzen, und alles mit lachendem Muth. Gott weiß wie Oudart paukt', und seinen schweren stählernen, mit Hermelin verbrämten Handschuh unterm Aermel des Chorhemds barg; denn er war gar ein starker Ziemer. Also kehrt der Schick-an wie getiegert nach seiner Bouchardsinsel,[70] gleichwohl mit Herrn von Basché sehr vergnügt und zufrieden heim; und lebt' mit Hülf der guten Feldscheer seines Ortes, so lang ihr wollt. Es war nicht weiter die Red davon, denn das Gedächtnis daran erlosch mit dem letzten Schall der Sterbeglocken, die ihm zu Grabe läuteten.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 67-71.
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