Sieben und Zwanzigstes Kapitel.

[108] Wie Pantagruel von dem Hinschied der heroischen Geister handelt, und von den schauderhaften Zeichen so dem Tod des Herrn von Langey Seeligern voraufgegangen.


Ich möcht den Meersturm, (fuhr Pantagruel fort) der uns so hart geplagt und geschüttelt hat, nicht ungeschehen, wenn ich dafür entbehren sollt was dieser gute Makrobier hie uns mittheilt. Bin auch gern geneigt zu glauben was er von dem Cometen der etliche Tag vor solchem Sterben am Himmel erschienen, uns gesagt hat. Denn manche dieser Seelen sind so adlich, herrlich und heldenhaft, daß uns der Himmel ihren Auszug und Abschied etliche Tag zuvor verkündigt. Und wie der kluge Arzt, der seines Kranken Todesnäh aus den prognostischen Zeichen ersieht, etliche Tag zuvor den Weibern, Kindern, Vettern, Freunden und Nächsten den drohenden Hinschied ihres Mannes, Vaters oder Verwandten anzeigt, daß sie in dieser letzten Frist die er annoch zu leben hat, ihn erinnern sein Haus zu bestellen, seine Kinder zu ermahnen und zu segnen, den Witwenstand seines Weibes zu bedenken, was zu der Mündel Unterhalt er nöthig findet, auszusetzen; daß er vom Tod nicht übereilt werd eh er testirt und seine Seel und Haus beschickt: so scheint mir auch der gute Himmel, gleichsam fröhlig über die nahe Ankunft dieser seligen Geister, vor ihrem Hintritt, in diesen Cometen und Meteoren Freuden-Feuer anzuzünden, damit die Sterblichen darinn ein sichres Merkmal und wahrhaftes Prognostikon erkennen sollen, daß binnen wenig Tagen solche erhabne Seelen ihren Leibern und dieser Welt entsagen werden.

Wie auch vor Zeiten in Athen die Richter des Areopagus, wenn sie über das Urtheil der gefangnen Missethäter stimmten, sich nach Verschiedenheit der Urthel, gewisser Zeichen zum Loos bedienten, mit Θ Verurtheilung zum Tod, mit T Lossprechung, und mit A2 Vertagung (nämlich wenn[109] der Fall noch nicht liquid) bedeutende. Selbige, öffentlich ausgehenkt, überhuben die Eltern, Freund', und wer sonst das End und Urtheil der eingezognen Sträfling etwa zu wissen begehrt', der Angst und Sorgen. Also spricht auch der Himmel, gleichsam stillschweigend durch solcherley Cometen, wie mit ätherischer Zeichenschrift: Ihr sterblichen Menschen, wenn ihr anders von diesen hochbeglückten Seelen noch ichtes zu gemeinem oder besonderm Heil Ersprießliches erfahren, hören, lernen, fragen, voraussehn wollt, so eilet nun vor sie zu treten und euch Raths bey ihnen zu erholen; denn das Spiel neigt sich anitzt zum End, zur Katastroph. Ist es vorüber, dann ruft ihr ihnen vergebens nach.

Ja, er thut noch mehr. Um zu zeigen daß unsre Erd und irdische Menschen so hoher Seelen Gegenwart, Genusses und Verkehrs mit ihnen, nicht würdig sind, betäubt, erschreckt er sie mit Prodigiis, Portentis, Monstris und andern im Naturlauf ganz ungewöhnlichen Vorbedeuten. Wie wir es mehrere Tag vorm Hingang der hohen, herrlichen Heldenseel des tapfern und gelahrten Ritters von Langey, dessen ihr gedachtet, mit angesehn.

Wohl weiß ich's noch, sprach Epistemon, und das Herz in seinem Beutel zittert und bebt mir, wenn ich der mannigfaltigen und schauderhaften Wunder gedenk, die wir mit unsern offnen Augen fünf bis sechs Tag vor seinem Tod gesehen haben. Dergestalt, daß die Herren von Assier, Chemant, Mailly le Borgne, Saint Ayl, Villeneuve-la-Guyart, Meister Gabriel der Arzt von Savigliano, Rabelais, Cohuau, Massuau, Bullou, Cercu der Burgemeister zubenannt, Franz Proust, Majorici, Karl Girard, Franz Bourré, Ferron, und so viel andre Freund, Hausgenossen und alte Diener des Seligen sich ganz bestürzt ohn einen Laut einander ansah'n, wohl aber all in ihren Herzen erkannten und zum voraus wußten, daß Frankreich nun in kurzem eines so vollkommnen und zu seinem Ruhm und[110] Schirm so nöthigen Ritters verlustig gehn würd, weil ihn der Himmel, als sein gebührend Eigenthum zurückbegehrt'.

Potz Kutten-Bummel! rief Bruder Jahn, so möcht ich schier noch studiren auf meine alten Tag. Ich hab ein ziemlich gut Gedächtniß, wenn mir recht ist. Aber ich frag euch auf euern Eid, wie unser König seine Leut, und die Königinn ihre Maid: diese Heroen und Semigötter von denen ihr eben gesprochen habt, können die auch mit Tod abgehn? Du liebe Mari! Da hab ich immer in meinen dummen Gedanken gedacht sie müßten all unsterblich seyn wie die lieben Engel, verzeih mirs Gott! und nun erzählt uns dieser hochwürdigste Herr Makrobier daß sie zuletzt verenden müßten! – Nicht all, antwort Pantagruel. Die Stoiker hielten sie all für sterblich, ohn Einen, der allein unsterblich, unsichtbar, unverletzlich ist.

Pindarus sagt uns offenbar, den Hamadryadischen Göttinnen sey nicht mehr Faden, das ist Leben, vom Flachs und Wocken der strengen Parzen und Verhängniß zugesponnen, als den durch sie erhaltenen Bäumen; das sind die Eichen, aus denen sie, nach der Meinung Kallimachi und Pausaniä in Phoci, entsprungen. Diesen pflichtet auch Martianus Capella bey. Anlangend die Halbgötter, Panen, Satyrn, Sylvanen, Elfen, Aegypanen, Nymphen, Heroen und Dämonen, so geben Mehrere, nach der Total-Summ der von Hesiodus abgezählten verschiedenen Alter, ihr Leben auf 9720 Jahr an, als welche Zahl sich aus der Einheit ergiebt, wenn sie zur Vierheit wächst und man die ganze Vierheit viermal mit sich dupliert, dann alles fünfmal durch solide Triangel multipliziret. Seht den Plutarchus nach, im Buch vom Untergang der Orakel.

Dieß ist mal nicht Brevier-Materi, sprach Bruder Jahn, da glaub ich auch nicht mehr als euch beliebt davon. – Ich glaub, versetzt' Pantagruel, daß alle vernünftigen Seelen frey von denen Scheeren der Atropos sind. Unsterblich sind sie all, Dämonen, Engel und Menschen. Ich will euch aber[111] bey diesem Anlaß eine fast befremdliche Geschicht erzählen, wiewohl von manchen gelehrten und kundigen Chronographen geschrieben und bestätiget.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 108-112.
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