Neun und Vierzigstes Kapitel.

[163] Wie uns der Papimanen-Bischof Schlottig die uranopetischen Decretalen wies.


Darauf sprach Schlottig weiter zu uns: unsre heiligen Decretales verordnen und gebieten uns, nicht eher in ein Wirtshaus zu gehn, bis wir zuvor in der Kirch gewesen. Drum, dieser schönen Satzung treu, kommt mit zur Kirch; dann wolln wir schmausen. – Geht nur voraus, ihr braver Mann, sprach Bruder Jahn, wir folgen euch. Von euch hört man doch noch ein gutes, ein christlichs Wort. Wohl ists lang her, daß wir kein Kirch mehr mit Augen gesehen. Ist mir ein rechter Seelentrost, und glaub, ich werd noch einmal so gut drauf speissen. Ey wie gut ists doch, wenn man so brave liebe Leut find.

Als wir nun an die Tempel-Thür kamen, sahn wir ein grosses güldnes Buch, ganz übersät mit feinen köstlichen Edelsteinen,[163] Balasen, Demanten, Smaragden, Perlen noch auserlesner, zum wenigsten nicht minder fein, als die einst Kaiser Octavianus dem Jupiter Capitolino weihet'; und hing an zwei schweren güldenen Ketten am Zoophoro des Portals, frey in der Luft.

Wir stauntens voll Verwundrung an; Pantagruel dreht' und wendet's nach Belieben in den Händen um, denn er konnt es leicht erreichen, und bezeugt' uns für gewiß daß er bey Anrührung desselben ein sanftes Jücken in den Nägeln und Fügsamkeit der Arm verspürt', nebst einer starken Gemütsversuchung ein oder ein Paar Schergen zu dreschen, dafern sie nur die Tonsur nicht hätten.

Darauf sprach Schlottig zu uns: Weiland empfingen die Juden das Gesetz von Gottes eigner Hand geschrieben, durch Mosen. In Delphi an der Front des Apollo-Tempels ward, durch Gottes Finger geschrieben, das Sprüchlein ΓΝΩΘΙ ΣΕΑΥΤΟΝ gefunden, und einige Zeit darauf las man dort ΕΙ, das ebenfalls eine Götterschrift und vom Himmel war. In Phrygien kam der Cybele Bildniß vom Himmel auf das Feld Pessinus; wie auch in Tauris das Bild Dianens, wofern ihr dem Euripides glaubt. Die Oriflamm ist vom Himmel den edeln allerchristlichsten Königen in Frankreich zu Besiegung der Heyden verliehen worden. Unter Numa Pompilius, anderm römischen König, sah man in Rom den scharfen Schild Ancyle vom Himmel fliegen. Zu Athen in die Burg fiel einst vom Empyräo Minerven's Standbild. Also seht ihr auch hie bey uns die hochgelobten Decretalen, geschrieben von eines Cherubs Hand – wiewohl ihr andern Transpontin-Leut glaubt nicht daran – (Sehr wenig, sprach Panurg) und uns vom Himmel der Himmel hie durch ein Mirakel überliefert in gleicher Weis,[164] wie bey Homero dem Vater aller Weltweisheit (die göttlichen Decretales allzeit ausgenommen!) der Fluß Nil Diipetes heißet. Und weil ihr nun ihren Evangelisten und ewigen Schirmvogt den Papst gesehen habt, soll euch von uns sie zu beschauen und, so ihr wollt, auch innewendig zu küssen erlaubt seyn: doch zuvor müßt ihr drey Tag lang fasten, regelmäßig zur Beichte gehn, und dabey eure Sünden so haarfein ausbälgen, mustern und inventiren, daß euch auch nicht der kleinste Umstand davon zur Erd fällt. Also singen uns diese göttlichen Decretales durch Gottes Mund. Dazu will Zeit seyn.

Braver Mann, antwort Panurg, Deckelschaalen, ich wollt sagen Decretalen, haben wir schon die Meng gesehen, auf Papier, Velin, Latern-Pergamen, in Druck und Handschrift. Spart euch die Müh uns die zu zeigen. Eu'r guter Will genügt uns schon, wir sehns für voll an; grossen Dank! – Potz Taus! sprach Schlottig, aber ihr saht doch noch niemals diese von Engelshand; denn die bey euch, das sind nur blose Copien der unsern, wie wir in einem unsrer alten Decretalin-Scholiasten klar geschrieben finden. Im Uebrigen bitt ich, schonet nur nicht meiner Müh. Bedenkt euch blos: ob ihr hie beichten und die drey lieben Gottes-Täglein fasten wollt.

Beichten, sprach Panurg, das sind wir gern zufrieden: nur das Fasten kommt uns schlecht zu paß, denn wir haben ohnehin zur See schon hundsmässig fasten müssen, daß uns die Kanker ihr Spinnweb auf den Backen-Zähnen verfertigt haben. Da schaut nur mal hier diesen guten Bruder Jahn von Klopffleisch an, (bey diesen Worten gab Schlottig ihm sehr höflich die kleine Accollad) dem wächst schon Moos im Rachen, blos weil er die Kiefern und das Gebiß nicht exerzirt hat. – Er hat ganz recht, antwortet Jahn, ich hab so hundemässig gefastet, daß ich davon ganz bucklich bin.

Kommt dann, sprach Schlottig, mit zur Kirch, und excusiert uns, wenn wir euch itzo nicht gleich die schöne Gottes-Meß lesen. Mittag ist durch, und nachmittag verbieten uns unsre hochgelobten Decretales Meß zu lesen, ich mein die hohe, volle Meß: aber ich will euch unterdessen ein kleines,[165] trocknes Messel lesen. – Mir, sprach Panurg, wär lieber ein nasses mit etwas gutem Anjou-Wein. So legt dann los, und drauf und dran! es bieg oder brech. – Potz grün und gehl! sprach Bruder Jahn, mich wurmts doch höchlich daß ich im Leib noch so nüchtern bin. Denn hätt ich nur erst nach Mönchsbrauch fein gefuttert und gefrühstückt, und er säng uns etwann ein Requiem, hätt ich doch Brod und Wein in Profundis. Na, nur Geduld, schießt zu, pufft ab, paukt auf! doch schürzts e bissel kurz, daß sie sich nicht beschlump', und auch aus andern Gründen! Dieß bitt ich schön.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 163-166.
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