Zwey und Funfzigstes Kapitel.

[170] Fernere Decretalien-Wunder.


Der nimmt mal's Maul voll, sprach Panurg; aber ich glaub so wenig davon als menschenmöglich. Denn einmal in Poictiers beym Doctor Decretalipotens dem Schotten, bin ich drüber kommen und hab ein Kapitel drinn gelesen. Der Teufel hohl mich, wo ich von der Lectur nicht so verstopften Leibes ward, daß ich in Zeit von länger als vier bis fünf Tagen nichts als Ein winzigs Würstel gemacht hab. Und wißt ihr auch was für eins? Auf Ehr! just so eins, wie Catull von seinem Nachbar Furius rühmt:


Nicht zehn Würst machst du das ganze Jahr;

Und reibst du's zwischen den Händen klar,

Die Finger bleiben dir dennoch reine:

Sind härter denn Bohnen und Kieselsteine.


Ha ha, rief Schlottig, hinghang! Freund, das war vielleicht für eine Todsünd, die ihr auf euerm Gewissen hattet. – Das müßt denn seyn, versetzt' Panurg.

Einmal, sprach Bruder Jahn, zu Seuillé hätt ich mir meinen Hintersten an ein Blatt aus einer alten meschanten Clementin gewischt, die unser Pförtner Johann Guimard am Kloster-Anger verzettelt hätt: des Teufels sey ich, wenn ich nicht so schreckliche Rhagadien und Hämorrhuten darnach bekam, daß mir mein armes Vaporarium davon ganz ausgemürselt war. – Hinghang! sprach Schlottig, das war eben die offenbare Gottes-Straf für eure schwere Sünd daß ihr dieß heilige Buch beschissen, welches ihr hättet küssen sollen und adoriren, ja mit Latria adoriren, sag ich; oder mit Hyperdulia zum mindesten! Panormitanus sagt hieran kein Wort zu viel.

Hans Hupfel, sprach Ponokrates, hätt von den Mönchen zu Sanct Olary in Monspellier ein prächtig Decretal in Handschrift auf schönem grossen Lamballer Pergamen erkauft, zu[171] Quetschen, um drinn Gold zu schlagen. Das Malheur war aber nur, daß ihm – wer dächt es! – auch nicht Ein Stück gerieth, soviel er drinn schlagen mocht: es ging ihm alles zu Lappen und Fetzen. – Gottes Rach und Straf! schrie Schlottig.

Der Apotheker zu Mans, Franz Cornu, sprach Eudämon, hätt ein zerledert Extravagantes zu Deuten verbraucht. Den Teufel leugn ich, wenn nicht alles was man drein packt', den Augenblick vergiftet, faul und verdorben war: Zimmt, Weihrauch, Pfeffer, Nelken, Safran, Wachs, Spezereyen, Tamarinden, Quassia, Rhabarber, kurz alles, Pillen, Pastillen, Kamillen, Sassaparillen. – Gottes Straf und Rach! schrie Schlottig; zu so profanem Frevelzweck die heiligen Schriften miszubrauchen!

Zu Paris, sprach Karpalim, hätt der Schneidermeister Groingnet ein altes Clementinä zu Mustern und Maasen genommen. O unerhört! Alle Kleider nach solchen Mustern oder Maasen vorgezeichnet und zugeschnitten, wurden verhunzt und ruinirt: Röck, Mäntel, Kappen, Jacken, Juppen, Kozzen, Koller, Wämser, Schürzen, Reif- und Unterröck. Wenn Groingnet meint' eine Kapp zu schneiden, schnitt er die Form eines Hosenlatzes; statt einer Jack schnitt er einen Hut à la Backenbirn; eine Stol nach einem Kozzen-Maas; ein Wams-Muster verhudelt' er zu einem dünnen Sommerfähnlein. Wenns seine Gesellen dann genähet und im Leib gemützert hatten, dacht man es wär ein Schmorpfännlein um Kästen drinn zu braten. Für ein Koller macht' er einen Reitstrumpf; auf das Muster von einem Reifrock schnitt er eine Nebelkapp; wenn er 'nen Mantel machen wollt, so ward daraus ein Schwytzer Trommel. Bis endlich gar der arme Tropf all seinen Kunden von Rechtswegen den Zeuch zu ersetzen verurtheilt ward, und gegenwärtig auf dem Hund sitzt. – Gottes Straf und Rach! schrie Schlottig.

Zu Cahusac, sprach Gymnastes, war ein Scheibenschiessen unter den Herren von Estissac und dem Vicomte von Lausun besprochen. Perotou hätt ein halbes Decretales vom besten Missalpapier zerrissen, und aus den Blättern das[172] Schwarz in der Scheib geschnitten. Ich schenk, ich verkauf, ich stürz mich kopfüber zu allen Teufeln, wo Ein Armbrustschütz des Landes (und sind die ersten in ganz Guienne) auch nur einen einigen Schuß hineinbracht. All gingen seitlings; nicht ein Pünktlein des allerheiligsten Schwarzen ward entjungfert, oder angestochen. Ja Sansornin der Aeltre, der Pfandwärtel, schwur uns Figues Dioures! seinen grossen Schwur, wenn er nicht deutlich, handgreiflich und vor sichtlichen Augen den Bolzen Carquelins gerad auf die schwarze Nuß in Mitten des Weissen hätt streichen sehn; doch auf dem Punkt hineinzutreffen, wär er ein Klafterweit seitab nach dem Backofen ausgefahren.

Mirakel! rief Schlottig, Mirakel! Mirakel! Clerice! ist leer allhie! Ich brings euch Allen. Ihr seyd doch noch wahre Christen! – Bey diesen Worten huben die Dirnlein unter einander zu schnickern an; und Bruder Jahn wiehrt' aus den Nüstern als wenn er rossen, oder zum wenigsten rammeln wollt und gleich aufspringen, wie Haps der Hund auf die armen Leut.

Ich glaub, versetzt' Pantagruel, in diesem Schwarzen wär man sichrer vorm Schuß als weiland Diogenes gewesen. – Wie so? wie so? frug Schlottig, war er etwann Decretalist? – Da seyd ihr just auf der rechten Spur, sprach Epistemon, der soeben von seinen Verrichtungen wieder kam. – Diogenes, antwort Pantagruel, wollt ihm einmal Bewegung machen, ging also zu den Schützen hinaus, die nach dem Ziel schossen. Unter denen war ein so täppisch ungeschickter und falscher Zieler daß, so oft die Reih an ihn zu schiessen kam, alle Zuschauer weit zur Seiten wichen, aus Furcht von ihm getroffen zu werden. Als ihn nun Diogenes einmal so gar der Quer sah schiessen, daß sein Bolzen über ein Lachter vom Ziel fiel, und beym nächsten Schuß das Volk zu beyden Seiten weit auswich, lief er herzu und stellt' sich dicht an das Schwarze: denn dieß wär, behauptet' er, der sicherste Ort, und würd der Schütz ohnfehlbar eher an alle andern Ort hintreffen als in das Schwarz; das Schwarz allein wär vor dem Schuß in Sicherheit. –

Ein Leibpag' des Herrn von Estissac, namens Chamouillac,[173] sprach Gymnastes, bemerkt' den Zauber; auf dessen Rath macht' Perotou ein andres Schwarz, und nahm dazu die Akten-Rotuln des Prozesses von Pouillac. Jetzo trafen sie prächtig, so viel ihrer waren.

Im Rothgau, sprach Rhizotomus, auf der Hochzeit des Jean Delif gings hoch und flott her, wie es damals im Land der Brauch war. Nach dem Essen wurden allerhand Possen agirt, Comödien und lustige Schwänk, allerhand Moresken getanzt zu Schellen und Tamburinen; auch verschiedene Arten Mummereyen und Larven aufs Tapet gebracht. Ich nun mit meinen Schulgesellen, das Fest soviel an uns, zu ehren, (denn man hätt uns allen früh sehr schöne Braut-Livrey verehrt, violett und weiß) wir machten zum Beschluß und Kehraus noch ein lustig Schönbartsspiel mit einem Haufen Michelsmuscheln und bunten Schneckenhäuslein her. Und in Ermanglung der Klettenblätter, Personata, Colocasien und Papieres, machten wir uns die Butzengesichter aus den Blättern eines alten Sexti, so dort im Winkel lag, und schlitzten's vorn um Mund und Nas und Augen etwas wenigs aus. O seltsam unerhörter Casus! wie unsre kleinen kindischen Späß und Kapriolen geendigt waren, und wir die Butzen herunter thäten, sah'n wir euch grasser und scheußlicher aus als die jungen Teufel in der Passion zu Doué, also hatten uns die Blätter die Gesichter verschändt an allen Stellen wo sie gelegen. Der Ein hätt die Knibb, der Ander die Krätz, der Dritt die Pocken, der Viert die Rötheln, der Fünft den grossen Grind; kurz, wer noch unter uns allen am besten fuhr, dem waren die Zähn aus dem Hals gefallen. – Mirakel! schrie Schlottig, Mirakel! Mirakel!

Ist noch nicht Zeit zum Lachen, sprach Rhizotomus. Meine beyden Schwestern Käth und Renata hatten in diesen edeln Sextum, statt einer Wäsch-Preß (denn er war in dicke Breter mit eisernen Buckeln eingebunden) ihre weißwaschnen, feingesteiften Krägel, Brusttüchel und Aermel gethan. Beym heiligen Gott! – Halt an! rief Schlottig, bey welchem Gott verstehet ihr's? – Nun, es giebt nicht mehr denn Einen, antwort Rhizotomus. – Schon recht, sprach Schlottig, im[174] Himmel: aber auf Erden, ist da nicht noch ein Andrer? – Hü, vorwärts! rief Rhizotomus, ich dacht mein Seel nicht mehr an Den. Nun dann beym heilgen Papst-Gott also! ihre Tüchel, Krägel, Geiferlätz, Nachthäublein und alles andre Linnen ward drinn so schwarz wie ein Kohlensack. – Mirakel! schrie Schlottig: Clerice! ist leer allhie, und merk dir diese guten Geschichten!

Wie hat man aber, frug Bruder Jahn, nur sagen mögen:


Seit das Decret zu Alen kam,

Der Reiter zu Feld den Sack mitnahm,

Die Mönch sich schwangen hoch zu Roß,

Ist in der Welt der Teufel los?


Ich merk, sprach Schlottig, o ich merk! das sind die kleinen Quodlibets der neuen Ketzer.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 170-175.
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