Drey und Funfzigstes Kapitel.

[175] Wie man durch Decretalen-Kraft das Gold aus Frankreich subtil nach Rom zeucht.


Ein Schöppel alten Nieren-Trost, sprach Epistemon, wollt ich gleich aus meiner Tasch baar drum bezahlen, daß wir die schauderhaften Kapitel Execrabilis, De multa, Si plures, De Annatis per totum, Misi essent, Quod dilectio, Mandatum, Cum ad monasterium, mit dem Urtext verglichen hätten, und noch etlich andre mehr, die uns aus Frankreich jedes Jahr vierhunderttausend Dukaten und drüber, nach Rom ziehn. Ist dieß nichts? – Mir scheint es, sprach Schlottig immer wenig, in Betracht das allerchristlichste Frankreich die einzige Säugamm des Römischen Hofs ist. Aber zeigt mir doch einmal auf Erden das Buch in Philosophi,[175] in Medizin, Juristerey, Mathesi, Humanioribus, ja, du mein Gott! (Du meiniger!) selbst in der heiligen Schrift, das Buch das so viel zög! Nicht doch! Es hat sich. Von dieser güldnen Ader-Kraft find ihr nicht eins, da bin Ich gut für.

Noch wollen freylich die Teufels-Ketzer hievon nix wissen noch hören. Ey! so brennt, zwickt, zwackt, säckt, henkt, pfählt, schneidelt, metzelt, weidet aus, kappt, röstet, frikassirt, kocht, würfelt, kreuzigt, zermürselt, viertelt, rädert, ledert, karbonädelt dieß Ketzerpack, diese Decretalifugi, diese verruchten Decretalicidä! ärger denn Homiciden, ärger denn Parriciden, diese Decretaliktonoi des Beelzebub. Und ihr, ihr andern braven Leut, wo ihr für wahre Christen gelten und vor der Welt geehrt sein wollt, fleh ich euch mit gefaltenen Händen: glaubt, denkt, sagt, thut, beginnt nichts, außer was unsre heiligen Decretales und deren Corollarien lehren, der edle Sextus, diese holde Clementinä und himmlischen Extravagantes. O der gottbeseeligenden Bücher! So werd ihr zu Ruhm, Ehr, Hoheit, Würden, Herrlichkeit und Reichthum kommen in dieser Welt, von Allen Respekt und Ehrfurcht geniessen, Vorzug vor Allen, über Alle auserwählt und erkoren seyn. Denn unter des Himmels weitem Hut ist kein Beruf noch Stand zu finden darinn die Leut zu allen Dingen anstelliger und geschickter wären, als Die durch göttliche Präscienz und ewige Gnadenwahl dem Studio der heiligen Decretalen gehuldigt.

Wollt ihr einen tapfern Feldherrn wählen, einen würdigen Capitain, einen guten Generalissimus und Heereshaupt im Krieg, der alle Unfäll wohl vorauszusehen, alle Gefahren zu vermeiden sein Volk in Sturm und Schlacht mit Lust zu führen, nichts aufs Spiel zu setzen, allzeit ohn Leut-Verlust zu siegen, und des Siegs auch recht zu brauchen weiß? Nehmt einen Decretisten – nicht doch! ich wollt sagen, Decretalisten. – O grober Bock! sprach Epistemon. – Wollt ihr in Friedenszeiten einen tüchtigen und bastanten Mann zu guter Führung des Regiments in einem Freystaat, Königthum, Reich oder Monarchi, die Kirch, den Adel, den Senat, das Volk in Wohlstand, Freundschaft, Einigkeit, Gehorsam, Sitt und Zucht zu halten? Nehmt[176] einen Decretalisten. Oder wollt ihr Einen, der durch sein fromm erbaulichs Leben, heiligen Zuspruch, gute Wort, in kurzer Zeit ohn Menschenblut das gelobte Land erobern und die verstockten Türken, Jüden, Moskowiter, Sarabaiter Mamelucken und Tartaren, zum heiligen Glauben bekehren kann? Nehmet mir einen Decretalisten. Was macht das Volk in manchen Landen rebellisch und zügellos? die Pagen gefrässig und bös? die Schüler bengel- und eselhaft? Weil ihre Vögt, Hofmeister, Inspektoren und Lehrer nicht Decretalisten gewesen sind.

Was aber hat – o fragt euch selbst! – wohl diese artigen Ordenshäuslein mit denen ihr, gleichwie den Himmel in hellen Sternen, die Christenheit aller Orten so herrlich funkeln, siegprangen und stolziren seht, was hat sie errichtet, confirmirt, authorisirt? Die göttlichen Decretalen. Was hat fundirt, gesteift, erspreißt, was unterhält, nutrirt und äzet in Klöstern, Stiftern und Abteyen die frommen Väter, ohn deren unermüdliches Gebet bey Tag und Nacht, die Welt nothwendig in ihr altes Chaos zurückzustäuben befahren müßte? Die heiligen Decretalen. Was macht und mehret täglich im Ueberschwang aller zeitlich-leiblichen, wie geistlichen Güter das hochgelobte, glorreiche Patrimonium Petri? Die ewigen Decretalen. Was macht den heiligen apostolischen Stuhl zu Rom, vom Anbeginn bis heut so furchtbar durch die ganze Welt, daß alle Könige, Kaiser, Fürsten, hochmögende Potentaten und Herrn, friß oder stirb, von ihm abhangen, ihm dienstbar sind, von ihm gekrönt, gesalbt, authorisiret werden, da kuschen und sich beugen müssen vor dem allmächtigen Pantoffel, deß Bildniß ihr gesehen habt? Die edeln Himmels-Decretalen.

Ich will euch ein groß Geheimniß erklären. Die Universitäten in eurer Welt, pflegen in ihren Siegeln und Wappen gemeiniglich ein Buch zu führen, etlich offen, andre zu. Was meint ihr was für ein Buch dieß sei? – Daß weiß ich freylich nicht, antwortet Pantagruel, ich hab im Leben nicht drinn gelesen. – Das sind die Decretalen, sprach Schlottig, ohn die die Privilegien aller Universitäten zu Grunde gehn müßten. Ha ha ha ha ha! dieß habt ihr von mir gelernt.[177]

Damit hub Schlottig an zu grölzen, farzen, lachen, sprudeln und schwitzen, und gab sein grosses schmieriges Vier-Schneppenbarett der Jungfern Einer, die es mit grossem Jubilo auf ihr artigs Köpflein setzt', nachdem sie's sehr verliebt geküßt, als sichres Zeichen und Unterpfand daß sie die Erst einen Mann würd kriegen. – Vivat! Vivat! schrie Epistemon, Fifat! Pipat! Bibat! o du apokalyptisches Geheimniß! – Clerice! Clerice! rief Schlottig, ist leer allhie, geh her, leucht hie mit doppelten Lampen! das Obst, ihr Maidlein!

Ich sagt' also daß, wo ihr euch demnach allein und lediglich dem Studio heiliger Decretalen ergeben würdet, ihr hochgeehrt und reich in dieser Welt seyn würdet. Und sagt itzt ferner: daß ihr auch in den andern unfehlbar seelig werdet ins himmlische Freudenreich eingehen, dazu die Schlüssel unserm guten Decretaliarchen-Gott verliehen sind. O du mein guter Gott! den ich verehr, und nimmer sah, thu uns doch aus besondrer Gnad, im Todesstündlein zum mindesten, diesen gebenedeyeten Schatz unsrer heiligen Mutter Kirch auf, deß Schirmherr, Hüther, Schaffner, Pfleger, Verwalter und Promus Condus Du bist. Und gieb daß diese köstlichen Dona supererogationis, dieser theure Sünden-Ablaß uns nicht in der Noth entsteh, daß der Teufel Zähn nicht eine Bloß an unsern armen Seelen finden, daß uns der grimmige Höllenschlund nicht gar verschling! Wenn wir dann auch durchs Fegfeuer wandern müssen, Geduld! In Deiner Macht und Freyheit stehts ja uns daraus zu erlösen sobald Du wilt. Dabey hub Schlottig dicke heisse Thränen zu vergiessen an, schlug sich die Brust, und küßt' die Daumen übers Kreuz.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 175-178.
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