Ein und Vierzigstes Kapitel.

[343] Wie der Tempel von einer bewundernswürdigen Lamp erleuchtet war.


Eh ich auf die Boutelge komm, will ich euch erst noch die Figur einer bewundernswürdigen Lamp beschreiben, die das Licht im Tempel so reichlich rings umher ergoß, daß man, wiewohl er unterirdisch, so hell drinn sah wie wenn bey uns die Mittagssonn am Himmel schien. In des Gewölbes Mitten war ein Ring aus lauterm Gold befestigt, von der Dick einer vollen Faust, daran drey Ketten nicht viel schwächer und von der zierlichsten Arbeit hingen. Die hielten zwey und einen halben Fuß tief in der Luft im Dreyeck eine runde Platt umschlossen, von feinem Gold, so groß daß ihr Diameter zween Schuh und eine halbe Handbreit überstieg. In selbiger waren vier Augen oder Löcher, in deren jedes eine leere, inwendig hohle, oben offne Kugel, wie eine kleine Lamp fest eingepaßt war, ohngefähr zween Palmen weit im Umfang, und die Kugeln waren all aus feinen Edelsteinen: die eine war aus Amethyst, die andr' aus Lybischem Karfunkel, die dritte aus Opal, die viert' aus Anthrakit, und jede war voll Brandeweins fünfmal durch die Retort getrieben und unverbrennlich wie das Oel, das Kallimachus auf der Burg zu Athen in die güldene Ampel der Pallas goß; und ein brennendes Lychnion darin, theils aus Asbest-Lein, wie vor Zeiten in Jupiter Ammons Tempel, wo es der aufmerksame Philosoph Kleombrotus gesehen hat, theils von Karpasischem Lein, die sich im Feuer vielmehr erneuern als verzehren.

Unter der Lamp, etwann zwey Schuh und einen halben, griffen die drey Ketten im Dreyeck, wie oben, in drey Haben ein, die aus einer großen runden Lamp vom reinsten Krystall absprangen, anderthalb Schuh im Durchschnitt weit, oben etwann zween Händbreit offen. In der Oeffnung mitten drinn stand ein Gefäß von gleichem Krystall, wie ein Kürbiß oder Uringlas gestaltet, das bis auf den Boden der[344] großen Lamp ging und so viel obigen Brandeweins hielt, daß die Flamm des großen Asbest-Leins grad ins Centrum der grossen Lampe kam, mithin derselben runder Körper wie ganz durchflammt und feurig schien, weil das Feuer im Mittelpunkt und Centro war.

Und war nicht leicht, mit festem Blick und unverwandt darauf zu sehen, so wenig als in die Sonnenscheibe, hinsichtlich der ausnehmenden Durchsichtigkeit des Stoffes, und der feinen Klarheit im Schliff desselben, beym Widerschein der vielen Farben wie sie den edeln Steinen eigen, von den vier kleinen obern Lampen gegen die grosse unterste; und zuckt der Schimmer dieser Vier, blitzschnell und schwankend aller Orten im Tempel umher; ja was noch mehr! wenn dieses Irr-Licht auf den hellpollirten Marmor, womit der Tempel innwendig rings bedeckt war, fiel, entstanden Farben wie wir sie im himmlischen Bogen beym Widerschein der hellen Sonn auf Nebeln sehen.

Die Erfindung war wunderwürdig; aber noch wunderwürdiger schien mir, wie der Bildner rings um die Rundung dieser krystallenen Tempel-Lamp ein flinkes, muntres Kinder-Treffen in kataglyphischer Arbeit gravirt hätt. Die Büblein ritten mutternackt auf hölzernen Pferdlein, schwangen kleine Flinder-Speer, und Schildlein sauber aus Traubenbälgen und Rebenlaub zusamengeflochten, mit kindischem Gebährdenspiel und durch die Kunst so sinnreich abgestohlnem Wesen, daß es Natur nicht besser könnt. Und schienen in die Masse nicht graviert, sondern vielmehr rund daraus getrieben, oder doch groteskenartig ganz erhaben darauf zu stehn; so artig schien durch die Sculptur das bunte Licht, das innerlich gefangen war.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 343-345.
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