Liebeserklärung eines Menschen, der zärtlich liebt, aber nicht vernünftig.

[139] Mademoiselle,


Ich habe einige Jahre her das Vergnügen gehabt, durch einen öftern Umgang den Wert Ihrer Tugenden und die Vortrefflichkeit Ihrer Gemütsart kennen zu lernen. Da ich und Sie über die ersten Jahre weg sind, in denen man die Empfindungen der Liebe gar leicht einer flüchtigen Übereilung schuld giebt, so kann ich's wagen, Ihnen meine Zärtlichkeit zu entdecken und Sie zu versichern, daß ich es für mein größtes Glück in der Welt halte, der Ihrige zu sein, und daß ich dieses mit einer so reisen Überlegung schreibe, daß ich überzeugt bin, dieses Glück wird mir nach vielen, späten Jahren noch ebenso schätzbar sein, als es mir jetzt ist. Was für ein Himmel muß ein Ehestand sein, wo sich die Liebe auf Tugend gründet, und wo man sich von beiden Teilen Mühe giebt, die Hochachtung gegen einander immer neu zu erhalten und täglich zu vermehren! Diese seltene Glückseligkeit kann ich mir von niemanden in der Welt versprechen, als von Ihnen, Mademoiselle! Und ich meines Orts müßte aller Empfindungen der Menschheit unwürdig sein, wenn ich das Geringste versäumen wollte, Ihre Glückseligkeit ebenso vollkommen zu ma chen, als ich die meinige zu sehen wünsche. Kann ich hoffen, in meinen Wünschen glücklich zu sein? Das macht mir keine Sorge, daß mein Amt sehr wenig einträglich ist – daß Sie selbst kein Vermögen besitzen – daß ich keine so nahe Hoffnung vor mir sehe, wie diesem Mangel der zeitlichen Glücksumstände abzuhelfen sein möchte. Es kann nicht fehlen, eine so tugendhafte Liebe, wie die unsrige ist, läßt der Himmel nicht unbelohnt. Er wird uns Wege zu unserer Verbesserung zeigen, die wir als einen Segen unserer vernünftigen Absichten ansehen können. Gesetzt aber auch, unsere Umstände verbesserten sich nicht und wir lebten kümmerlich: o wie viel haben wir vor tausend Familien voraus, da uns unsre aufrichtige und zärtliche Liebe nicht Zeit läßt, an unsern Mangel zu denken! Ich wenigstens, Mademoiselle, ich getraue mir, bei Wasser und Brot der vergnügteste Ehemann zu bleiben, wenn ich das Glück habe, der Ihrige zu sein.


Antwort und freundschaftlicher Korb.

[140] Nein, wahrhaftig nein, mein Herr, das ist meine Religion nicht. So hoch ich Sie schätze, und so lieb ich Sie als einen meiner besten Freunde habe: so wenig kann ich mich entschließen, als Frau im Namen Gottes mit Ihnen zu verhungern. Glauben Sie mir, es geschieht nicht aus Leichtsinn, daß ich so schreibe. Sie kennen mich. So lebhaft ich bin, so ernsthaft bin ich auch, wenn ich an eine Verbindung denke, deren Folgen so wichtig sind. Ich bin überzeugt, daß Sie der rechtschaffenste Mann von der Welt sind, daß Sie mich aufrichtig lieben, daß Sie alles daran wagen würden, mich glücklich zu machen, und daß unser Ehestand ein wahres Muster einer vernünftigen Ehe sein würde. Das weiß ich alles. Aber, mein Herr, aus Hochachtung gegen Sie, aus wahrer Freundschaft – verstehen Sie mich wohl! – aus bloßer Liebe zu Ihnen mag ich Sie nicht zum Manne haben. Glauben Sie denn, daß unser Ehestand nur 24 Stunden dauern soll? Und glauben Sie denn, wenn man 24 Stunden Wasser und Brot gegessen hat, daß man sich nicht ein wenig Fleisch und Zukost wünscht? Bei einem leeren Magen kann sich's unmöglich lange zärtlich lieben. Stellen Sie sich einmal vor, daß wir in christlichem Vertrauen auf die Vorsorge des Himmels Mann und Weib sind – daß Sie an diesem Ende der Stube sitzen und ich an dem andern – daß Sie nichts zu essen haben, und daß mich hungert – daß ich aus Liebe zu Ihnen recht satt thue, und daß Sie aus zärtlicher Gegenliebe den Kopf traurig stützen und unruhig nachdenken, wo Sie etwas zu essen für Ihre verhungerte Hälfte, für Ihr anderes Ich hernehmen sollen: was für ein Himmel der Ehe wird dieses sein! Je mehr wir einander lieben, je bekümmerter müssen wir sein, wenn wir sehen, daß es uns an den unentbehrlichsten Notwendigkeiten fehlt. Wissen Sie wohl, was ich thun würde, wenn Sie alsdann mein Mann wären? Ich würde mir die äußerste Gewalt anthun, mich alle Mittage um 12 Uhr mit Ihnen zu zanken und Sie so lange zu reizen, bis Sie im Zorne zu mir sprächen: »Da verhungere, Bestie!« Wie ruhig wäre meine Liebe gegen Sie, wenn Sie alsdann meine Not nicht fühlten, wenn Sie vor Ärgernis vergäßen, daß Ihre liebe Frau nichts zu essen hätte, wenn ich den Kummer, unsern Mangel zu empfinden, alleine litte!

Was sollen wir uns unser Leben so schwer machen! Der Himmel will uns alle ernähren – es ist wahr. Aber das versprach der Himmel zu der Zeit, da wir noch nicht so viel[141] brauchten wie jetzt, und da die Eitelkeit der Menschen viel tauend unnötige Dinge noch nicht ersonnen hatte, die in der Welt, worin wir nun sind, ganz unentbehrliche Dinge geworden sind. Noch eins fällt mir ein. Können wir durch unsere übereilte Zuversicht nicht andere auch unglücklich machen? Als ein unverheiratetes Frauenzimmer sollte ich zwar zu blöde sein, dieses zu sagen. Aber aus Furcht zu hungern, sage ich alles, was mir einfällt. Mit einem Worte, ich glaube gewiß, daß es eine Art der Grausamkeit sei, wenn junge Leute sich verheiraten, ohne zu wissen, wie sie ihren Nachkommen den notdürftigen Unterhalt und die nötige Erziehung geben sollen. Damit wir einander recht zärtlich und exemplarisch lieben können, sollen deswegen unsre armen Kinder verhungern oder dem Vaterlande zur Last sein? Wissen Sie was! Sie für sich haben zu leben, ich für mich auch – aber beide zusammen haben wir kein Brot. Wir wollen leben wie bisher. Ich liebe Sie als einen vernünftigen und rechtschaffenen Freund, und Sie lieben mich als Ihre Freundin. Dabei soll es bleiben. Und wir wollen niemals eher zusammenkommen, bis wir zu Hause uns satt gegessen haben. Unser Umgang wird immer vergnügt, immer tugendhaft bleiben, und wir werden den dauerhaften Vorteil haben, daß wir bei unserer Freundschaft nicht unruhig sind. Sind Sie mit meiner Antwort zufrieden? Wie schwer wird es mir, eine Sache auszuschlagen, die ich bei andern Umständen für mein größtes Glück halten würde! Leben Sie wohl!


* *


Da die Natur allen Tieren den Trieb zu lieben eingepflanzt hat, so fühlen ihn auch die Pedanten. Und oft fühlen diese ihn mehr als vernünftige Geschöpfe, weil man aus der Zergliederungskunst will wahrgenommen haben, daß diejenigen Kreaturen am brünstigsten sind, die am wenigsten denken. Ich will meinen Lesern eine Art von dergleichen Seufzern mit teilen. Es wäre zu wünschen, daß sie alle so beantwortet würden, wie ich diesen beantwortet habe. Auf diese Art würde sich das schmutzige Geschlecht der Pedanten weniger vermehren.

Quelle:
Rabeners Werke. Halle a.d.S. [1888], S. 139-142.
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