Zehnter Auftritt


[113] Aladin, der Aufseher des Palastes, öffnet die Tore und tritt heraus. Vorige.


ALADIN. Was seh ich? Fremdlinge? Durch welche Zaubermacht seid ihr hierhergelangt, und was begehret ihr von uns?[113]

EDUARD. Willst du, würdiger Unbekannter, mir wohl vorher die Frage beantworten, wo ich mich eigentlich befinde?

ALADIN. Du befindest dich in dem Lande der Wahrheit und der strengen Sitte, und dein Fuß berührt den Boden unserer Hauptstadt.

EDUARD. Freue dich, Florian, wir sind unserem Ziele nah.

FLORIAN. Ich wollte, ich war noch weit von meinem Ziel.

ALADIN. Hier ist der Palast unseres Herrschers, ich bin nur sein Diener.

FLORIAN. Ist auch nur ein Bedienter.

EDUARD. Willst du mich bei deinem Herrscher melden? Ich bin weit über dem Meere ein Prinz aus dem Lande der Aufrichtigkeit und habe mit meinem treuen Diener Florian verbeugt sich. in einer neuerfundenen Luftmaschine die Reise in euer Land gemacht, um mir eine Braut nach Hause zu führen, die ich durch treue Liebe und ungeheure Reichtümer zu beglücken gedenke.

ALADIN. Deine Gesinnungen sind gut, und ich werde sie unserm Herrscher treu berichten.

EDUARD. Doch jetzt mache mich auch mit den Gewohnheiten eures Insellandes bekannt.

FLORIAN. Ja, erzählen S' uns ein bissel was.

ALADIN. Auf unserer Insel wirst du den Streit vergebens suchen, wir haben gar keinen Verkehr mit irgendeinem Lande. Feste geben wir nie, wir glänzen nur durch Wahrheit.

FLORIAN. Das ist sehr schön von Ihnen.

ALADIN. Einsam ist es in den Straßen, denn man geht nur aus, wenn es sehr notwendig ist.

EDUARD. Doch ich sehe keine Fenster an den Häusern.

ALADIN. Die gehen in den Garten, die Aussicht ist zurück.

FLORIAN. Sie werden halt die Augen rückwärts haben, weil s' vorne zu viel Aufsehn machten.

ALADIN. Mit großer Strenge wird bei uns die Lüge bestraft, je nachdem sie nachteilige Folgen verursacht, doch ist man gegen Weiber nachsichtiger als gegen Männer. Verleumdung kennen wir nur dem Namen nach auf der Insel der Wahrheit und Sittsamkeit.[114]

FLORIAN. Erlauben Sie, mein Teurer, wenn einer in seiner Sittsamkeit etwas stiehlt, so wird er doch ganz bescheiden eingeführt?

ALADIN. Wer fehlt, muß gestraft werden.

FLORIAN. Und da bekommt er hernach seine soliden fünfzig Strichel?

ALADIN. Das geschieht nicht. Wir schlagen nur die Kleider des zu Bestrafenden, nicht den Mann, und das ist bei uns die größte Schande.

FLORIAN. Das geschieht überall. Man schlagt auch nur die Kleider, aber man wartet so lange, bis sie derjenige anhat, den wir – Macht die Pantomime des Prügelns.

EDUARD. Wie ist es rücksichtlich eurer Heiraten?

ALADIN. In ihrem zwanzigsten Jahre werden unsere Mädchen verheiratet. Keine darf allein ausgehen, wenigstens vier, auch darf sich keine umsehen.

FLORIAN. Das heißt, sie dürfen niemand über die Achsel ansehen.

ALADIN. Und gehen immer in Begleitung von zwei Mohren.

EDUARD. Ich danke dir für deine Auskunft und bedaure diese Unglücklichen, sie würden wahrscheinlich noch edlere Geschöpfe werden, wenn man ihren Handlungen weniger Zwang auflegen möchte.

ALADIN. Bedauern? Sprich dieses Wort nicht aus in Gegenwart meines Herrschers, bei dem ich dich jetzt melden werde. Im Lande der Wahrheit ist niemand zu bedauern als der, den die Götter mit Blindheit geschlagen haben, den unbedingten Wert unserer Handlungen nicht einzusehen. Ab in den Palast.

FLORIAN. Geh' der Herr zu.


Quelle:
Ferdinand Raimund: Sämtliche Werke. München 1960, S. 113-115.
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