Vierter Auftritt


[332] Auf der entgegengesetzten Seite Malchen, Lischen. Erstere im lichtblauen Sommerkleide, einen Strohhut auf dem Haupte, läuft fröhlich voraus.


MALCHEN. Ach, das heiß ich gelaufen, wie pfeilschnell doch die Liebe macht! Sieht sich um. Hier ist mein teures Tal. Wie herrlich alles blüht, heut glänzt die Sonne doppelt schön, als wäre Festtag an dem Himmel und sie des Festes Königin. Ach, wie dank ich dir, du liebe Sonne, daß du mir meinen August bringst. Lischen, Lischen! Ruft in die Kulisse. Wo bleibst du denn? Wie ängstlich sie sich umsieht. Was hast du denn?

LISCHEN kommt ganz verwirrt und sehr geschwätzig. Aber Sie unglückseliges Fräulein, wie können Sie sich denn heute in[332] diese berüchtigte, verrufene, bezauberte Gegend wagen? Haben Sie nicht die wilde Jagd gehört? heut ist der Alpenkönig los. Hätt ich das gewußt, Sie hätten mich nicht mit zwanzig Pferden aus dem Haus gezogen. Aber Sie weckten mich auf, sagten mir, ich sollte mich schnell anziehen, Sie wollten Ihrem August entgegeneilen, der heute von seiner Kunstreise aus Italien zurückkömmt.

MALCHEN. Nun, das tat ich ja. Hier erwart ich mei nen August. Sein letzter Brief nennt mir den heutgen Morgen. Hier schieden wir in Gegenwart meiner Mutter vor drei Jahren mit betrübtem Herzen voneinander. Du weißt, daß mein Vater schon damals gegen unsere Liebe war, obwohl Augusts Onkel starb und ihm einiges Vermögen hinterließ, schlug er ihm doch meine Hand ab, geriet in den heftigsten Zorn und warf ihm Talentlosigkeit in seiner Malerkunst vor. August, auf das bitterste gekränkt, beschloß, nach Italien zu reisen, um seinen Kummer zu zerstreuen und sich an den großen Mustern zu bilden. Hier schwor er mir ewge Treue, meine gute Mutter versprach uns ihren Beistand, doch du weißt, wie es um meinen armen Vater steht. Hier haben wir uns getrennt, hier gelobten wir uns wieder in die Arme zu stürzen. Nach seinen Briefen hat er große Fortschritte in seiner Kunst gemacht.

LISCHEN. Was Italien, was Kunst, was helfen mir alle Maler von ganz Italien und Australien! In diesen Bergen haust der Alpenkönig. Und wenn uns der erblickt, so sind wir verloren.

MALCHEN. So sei nur ruhig, es wird ja den Hals nicht kosten.

LISCHEN. Aber die Schönheit kanns kosten, und der Verlust der Schönheit geht uns Mädchen an den Hals. Und wie innig ist die Schönheit mit dem Hals verbunden, wer halst uns denn, wenn wir nicht schön mehr sind? Wissen Sie denn nicht, daß jedes Mädchen, das den Alpenkönig erblickt, in dem Augenblick um vierzig Jahre älter wird? Ja sehen Sie mich nur an, keine Minute wird herabgehandelt. Vierzig Jahre, und unsere jetzigen auch noch dazu, da wird[333] eine schöne Rechnung herauskommen. Stellen Sie sich die Folgen einer so entsetzlichen Verwandlung vor. Was würde Ihr geliebter Maler dazu sagen, wenn er in Ihnen statt einer blühenden Frühlingslandschaft eine ehrwürdige Wintergegend aus der niederländischen Schule erblickte, was würden alle meine Anbeter dazu sagen, wenn der Anblick dieses Ungetüms meine Wangen in Falten legte wie eine hundertjährige Pergamentrolle?

MALCHEN. Aber wer hat dir denn solche Märchen aufgebunden? Beinahe könnt ich selbst in Angst geraten. Es gibt gar keinen Alpenkönig.

LISCHEN. Nicht? Nun gut – bald werd ich Sie wie meine Großmutter verehren. Folgen Sie mir, oder ich laufe allein davon.


Will fort.


MALCHEN. So bleib nur, mein August wird bald hier sein, die Sonne steht schon hoch, du mußt mir Toilette machen helfen, der Wind hat meine Locken ganz zerrüttet. Du hast doch den kleinen Spiegel mitgenommen wie ich dir befahl?

LISCHEN. Ei freilich, ach, hätt ich lieber meine Angst vergessen!

MALCHEN. So. Setzt sich auf den Baumstamm und öffnet ihre Locken. Lischen steht mit dem Spiegel vor ihr. Halt ihn nur! Weißt du, Lischen, ich muß mich doch ein wenig zusammenputzen, er kömmt aus Italien, und die Frauenzimmer sollen dort sehr schön sein.

LISCHEN. Hahaha, warum nicht gar! Ich kenne in der Welt nur ein schönes Frauenzimmer. Sie werden mich verstehen, Fräulein.

MALCHEN nimmt es auf sich. Du bist zu galant, Lischen, das verdien ich nicht.

LISCHEN beiseite. Die glaubt, ich mein sie, wie man nur so eitel sein kann – und ich meine mich.

MALCHEN. So, Lischen, jetzt sind die Locken alle offen, – jetzt halt nur gut, der Alpenkönig tut uns nichts.

LISCHEN. Ach ums Himmels willen, nennen Sie doch den abscheulichen Alpenfürsten nicht – Erschrickt. es rauscht ja etwas im Gebüsche, Himmel, ich laß den Spiegel fallen. [334] Ein Auerhahn fliegt aus dem Gebüsche auf. Sie schreit. Ach der Alpenkönig!


Läuft mit dem Spiegel fort.


MALCHEN nachrufend. Lischen, Lischen, was schreist du denn, es ist ja nur ein Vogel. Ach du lieber Himmel, sie hat ja den Spiegel mitgenommen, die läuft ganz sicher nach Hause. Lischen, so höre doch! Entsetzlich, meine Locken, wenn jetzt August kömmt und mich so erblickt. Das überleb ich nicht. Ach du lieber Himmel, wie hätt ich mir das vorstellen können, das ist doch das größte Unglück, das einem Menschen begegnen kann. Besinnt sich. Aber pfui, Malchen, was ist das für eine Eitelkeit, August wird dich doch nicht deiner Locken wegen lieben? Ärgerlich. Aber die Locken tragen dazu bei, wenn die Männer nun einmal so sind, was kann denn ich dafür? Und warum heißen sie denn Locken, wenn sie nicht bestimmt wären, die Männer anzulocken? Sieht in die Szene. Ach, dort eilt er schon den Hügel herauf. O welche Freude, Hüpft. welche Freude! Plötzlich stille. Wenn nur die fatalen Locken nicht wären! Ich will mich hinter den Rosenbusch verstecken, vielleicht bring ich sie doch ein wenig zurechte. Verbirgt sich hinter das Rosengebüsche.


Quelle:
Ferdinand Raimund: Sämtliche Werke. München 1960, S. 332-335.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Alpenkönig und der Menschenfeind
Der Alpenkönig und der Menschenfeind
Raimundalmanach / Der Alpenkönig und der Menschenfeind