Fünfzehnter Auftritt


[408] Verwandlung.

Freie Gegend vor dem Schlosse. Im Hintergrunde ein tiefer Strom, an der Seite ein hoher Fels.

Alle Hausleute. Malchen. August. Astragalus wird gehalten.

Sophie kniet vor ihm. Gruppe.

Chor.


Haltet ihn, haltet ihn!

Seht, er will entrinnen.

Laßt ihn nicht, laßt ihn nicht,

Denn er ist von Sinnen!


Astragalus reißt sich los und eilt auf den Fels.

In dem Augenblick erscheint


RAPPELKOPF und ruft. Halt!


Astragalus springt hinab. Rappelkopf fällt ohnmächtig in die Arme seiner Frau und Tochter.

Schnelle Verwandlung in den Tempel der Erkenntnis. Hohe Säulen von Kristall mit Gold geziert. Auf der Hinterwand eine große Sonne, in deren Mitte die Wahrheit schwebt. Vor ihr ein Opferaltar.

[408] Astragalus' Gestalt, welche in das Wasser sprang,

war eine falsche.

Dieser zeigt sich nun wie zu Anfang des zweiten Aktes. Mit ihm ideal gekleidete Alpengeister. Rappelkopf hat sich indessen in seine wahre Gestalt verwandelt. Sophie. Malchen. August.


ASTRAGALUS zu Rappelkopf. Willkommen hier in der Erkenntnis hellstrahlendem Tempel, im wahrheiterleuchteten Saale. Ich sehe dich beschämt und reuergriffen vor mir stehen.

RAPPELKOPF. Ja leb ich denn noch? Bin ich denn nicht in Kompagnie ersoffen?

SOPHIE. Du lebst noch, lieber Mann!

MALCHEN. Sie leben, lieber Vater!

RAPPELKOPF. Und künftig nur für euch. Umschlingt sie beide. Wenn ich euch nicht zu schlecht bin, daß ihr für mich auch lebt.

ASTRAGALUS. Du hast nun Menschenhaß geschaut und eines Menschenfeindes Ende.

RAPPELKOPF. Und ist er denn wirklich hin, dieser verwünschte Lebenskompagnon, dieses Zerrbild meiner Unverträglichkeit?

ASTRAGALUS. Er ist verschwunden wie dein Menschenhaß.

RAPPELKOPF. Nu das waren ein Paar saubre Leute, ich bin froh, daß ich sie losgeworden bin. Aber weil Eure Hoheit gar so viel vermögend sind, könnten Sie denn nicht auch etwas über mein verlornes Vermögen vermögen. Damit ich auch meinem Schwager verzeihen könnt, weil er der einzige ist, den ich noch hasse.


Man hört ein Posthorn.

Linarius, als Postknecht gekleidet, mit Herrn von Silberkern.


LINARIUS. Hier lad ich meinen Passagier von seiner Wolkenreise ab. Die Alpenluft hat ihm recht gut getan.

SILBERKERN. Nu wart, du saubrer Postillon! Herr Schwager, seh ich Sie einmal?

RAPPELKOPF. Sie sind mir schon der liebste Schwager, jetzt kommt er erst daher, wenn schon alles vorbei ist. Sie sind an meinem Unglück schuld, ich bin ein Bettler.

SILBERKERN. Von einmalhunderttausend Gulden Münze, die ich ohne Ihre Einwilligung bei dem Bankier erhoben[409] habe, bevor das Haus noch fiel. Weil ich Wind bekam und Ihr Vermögen retten wollte, das ich Ihnen hier in Wechseln übergebe.

RAPPELKOPF. Ach, das ist ein Schwager, den laß ich mir gfallen, der bringt doch was ins Haus. Umarmt ihn, Silberkern umarmt Sophie. Kinder, mein Vermögen, die Menge Wechsel, ich bin völlig ausgewechselt vor lauter Freuden. Herr Schwager, das werd ich Ihnen nie vergessen.

SILBERKERN. Zahlen Sie mir lieber meine Angst, die ich Ihretwegen ausstehn mußte.

RAPPELKOPF. Ich geb Ihnen die meinige dafür, Sie kommen nicht zu kurz.

SILBERKERN. Aber wie hängt denn das alles zusammen?

RAPPELKOPF. Freund, das werden wir Ihnen morgen früh erzählen, sonst möcht es den Leuten zu viel werden. Denn ich hab heut schon so viel geredet, daß ich nichts mehr sagen kann als: Zu August. Sie sind mein Schwiegersohn. Nehmen Sie sie hin. Aber Sie sind ein Maler, schmieren Sie s' nicht an. Lieben Sie s' so, wie ich sie unrechterweise gehaßt habe, dann kann sie schon zufrieden sein.

AUGUST UND MALCHEN zugleich. Bester Vater!

RAPPELKOPF auf den Alpenkönig zeigend. Dort bedankt euch.

AUGUST UND MALCHEN stürzen zu Astragalus' Füßen. Großer Alpenkönig, Dank!

ASTRAGALUS mit Rührung.

Ich hab dir gestern einen Kranz versprochen,

Als ich dein Leid im Alpentale sah.

Du siehst, ich habe nicht mein Wort gebrochen,

Das Leid ist fort, der Kranz ist da.


Er nimmt einen Kranz aus schönen Alpenblumen von glänzender Folio, den ihm einer von den Alpengeistern reicht, und setzt ihn Malchen auf.


So nimm ihn hin, du Mädchen seltner Art,

Das treulich hält, was liebend es verspricht,

Und weil ich euch so väterlich gepaart,

Vergeßt auch auf den Alpenkönig nicht.


Geht ab.[410]


RAPPELKOPF. Kinder, ich bin ein pensionierter Menschenfeind, bleibt bei mir, und ich werde meine Tage ruhig im Tempel der Erkenntnis verleben.


Schlußgesang


Erkenntnis, du lieblich erstrahlender Stern,

Dich suchet nicht jeder, dich wünscht mancher fern.

Zum Beispiel die Leute, die uns oft betrügn,

Die wolln nicht erkannt sein, sonst würden s' nicht lügn.


Doch seien vor allen die Schönen genannt,

Die werdn von uns Männern am ersten erkannt.

Die Guten, die brauchen schon längere Zeit,

Obwohl die Erkenntnis dann ewig erfreut.


Die Jugend will oft mit Erkennen sich messen,

Die hat den Verstand schon mit Löffeln gegessen.

Doch rückt nur das Alter einmal an die Reih,

Dann kommt die Erkenntnis schon selber herbei.


Der Mensch soll vor allem sich selber erkennen,

Ein Satz, den die ältesten Weisen schon nennen,

Drum forsche ein jeder im eigenen Sinn:

Ich hab mich erkannt heut, ich weiß, wer ich bin.


Erkannt zu sein wünscht sich vor allem die Kunst.

Die feine Kokette bewirbt sich um Gunst.

Und wird sie auch heute mit Ruhm nicht genannt,

So werde denn doch nicht ihr Wille verkannt!


Ende.


Quelle:
Ferdinand Raimund: Sämtliche Werke. München 1960, S. 408-411.
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