An die Venus Urania

[47] Berlin, den 2. November 1770.


Göttin Liebe, dir weiht heute dein Agathon,

Unsers Cineas Sohn, seinen vollendeten

Tempel: Zeuch in dein Haus, Venus Urania,

Erstgeborne des Himmels, ein!


Freude hüpfe voran, Unschuld begleite dich,

Unauflöslich vereint folge dir, Arm in Arm

Holde Sanftmuth, und nie täuschende Wahrheit und

Unbestechliche Treue nach.
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Keine reinere Hand brachte dir Weihrauch dar

Als dein Diener und Freund, mit ihm Arsinoe,

Ihm an Tugenden, ihm gleich an erhabenem Geist,

Ihm an beiderlei Grazien.


Keinen heiligern Sitz beut dir ein sterblich Paar:

Ihn wird schaudervoll, ihn ewig die schmeichelnde

Aftergöttin, nach dir fälschlich genannt, und ihr

Unholdinnengefolge flieh'n:


Frechheit, Blutlos von Stirn, Reue mit schlafender

Natter, Falschheit verlarbt, Eifersucht immer wach,

Und mit rasendem Dolch und mit Medeischen

Becher Rach' und Verzweiflung;


Wann der schädliche Trupp aus den Hesperischen

Myrten, oder von dir, eitles Lutetien,

Auszeucht, oder den Weg aus dem Aucanzien-

Hain der heißen Iberer nimmt,


Durch Teutonien irrt, dort ein beglücktes Volk

Zu verderben, das noch sittsame Töchter zeugt,

Noch vom besseren Blut Siegmars entsprossene

Biederherzige. Söhne nährt,
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Aber täglich begrüßt dich die Gerechtigkeit,

Die nun unter uns bleibt, dich die tief forschende

Weisheit, leichtes Gesprächs, dich die verschwiegene

Freundschaft, deinen Huldinnen gleich.


Immer wechselnd besucht jede der Musen dich:

Und zur glücklichen Zeit eilet die helfende

Muttergöttin herbei, welche die Lieblinge

Deines Busens verewiget.


Nimm dein Heiligthum ein, Tochter des Himmels! hier

Sey dein erster Altar! wohne bei diesem Stamm,

Bis im Jahrbuch der Welt Friedrich, der Brennen Stolz,

Und am Himmel die Sonne stirbt.


Quelle:
Karl Wilhelm Ramler: Anthologie aus den Gedichten, Hildburghausen / New York 1830, S. 47-49.
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