An die Muse

[60] Willst du den allerhöchsten Zevs erhöhen,

Der sein allmächtig Haupt bewegt,

Und den Olymp erschüttert? oder Athenäen,

In diesem Haupt gepflegt,
[61]

Die mit bestälter Esche, nimmer müde,

Den Typhon, den Encelados

Zurückewarf, und mit der ewigen Aegide

Die Felsen, ihr Geschoss?


Singst du den ersten König in die Saite,

Die Patareus dir aufgespannt?

Ihn? oder seinen Bruder? oder wählst du heute

Den Gwelfen Ferdinand?


In königlicher Weisheit unterwiesen,

Zu Kriegestugenden erhitzt,

Sind beide hoher Hymnen werth. – Bald singe diesen,

O Muse! jenen itzt.
[62]

Wohlan, mein Lied! spann' alle deine Segel

Bis an den Wimpel auf, und sprich:

Als der Monarch, den Sprea, Viadrus und Pregel

Anbeten, Friederich-


Arminius, von Völkern angefallen,

Die Neid und Wahn und Hass verband,

Mit seinem Donner nicht allgegenwärtig allen

Und ewig widerstand:


Da brach, genährt im sorgelosen Frieden,

Gleich einem neuen Meteor,

Das den Orion auslöscht und die Tyndariden,

Prinz Heinrichs Geist hervor.
[63]

Als Jüngling schlief er ehmals in der Höhle

Anoniens, und war die Lust

Der Musen; itzt erhöheten sie seine Seele:

Mit unbewegter Brust


Hielt er der Söhne Teuts verschworne Heere

Züruck von unsrer Flur; (so stand

Das Isthmische Gebirge, trennte beide Meere,

Ward zweyer Völker Band;)


Und plötzlich schlug er die betäubten Schaaren,

Und krönete, diess war der Schluss

Der Götter! jene zwölf Herkulischen Gefahren

Des Deutschen Genius.
[64]

Wagst du noch mehr zu singen? – Dass der Sieger,

So weit er in der Feinde Land

Mit seinem Lager flog, gesegnet, seine Krieger

Zum Wohlthun ausgefandt?


Selbst unerforschlich, jeden Anschlag kannte?

Früh thätig, jeden hintertrieb? –

Nein; sage, dass ihn Friedrich selbst den Feldherrn nannte,

Der ohne Fehler blieb.


Quelle:
Karl Wilhelm Ramler: Oden, Berlin 21768, S. 60-65.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Oden
Karl Wilhelm Ramlers Poëtische Werke: Th. Vermischte Gedichte. Zwanzig Oden Aus Dem Horaz. Lesearten Der Ausgabe Vom Jahre 1772. Anmerkungen. Ramlers Leben (German Edition)

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Rameaus Neffe

Rameaus Neffe

In einem belebten Café plaudert der Neffe des bekannten Komponisten Rameau mit dem Erzähler über die unauflösliche Widersprüchlichkeit von Individuum und Gesellschaft, von Kunst und Moral. Der Text erschien zuerst 1805 in der deutschen Übersetzung von Goethe, das französische Original galt lange als verschollen, bis es 1891 - 130 Jahre nach seiner Entstehung - durch Zufall in einem Pariser Antiquariat entdeckt wurde.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon