Ptolomäus Evergetes und Berenice

[84] 1765.


Ptolomäus.


O Berenice! schöner, als der Morgen,

Für mich geboren, lange mir verborgen,

Ich sahe dich, ich liebte dich:

Doch ach! was fühltest du für mich?


[85] Berenice.


Ich fühlte deine feuervollen Blicke,

Und wandte schnell die meinigen zurücke:

Schon traut' ich ihnen selbst nicht mehr;

Denn ach! sie liebten dich zu sehr.


Ptolomäus.


Nach dir kann nichts hinfort mein Herz gewinnen,

Nach dir auch nicht die schönste der Göttinnen:

Vergeblich böte sie mir heut

Mit ihrer Hand Unsterblichkeit.
[86]

Berenice.


Vor dir hat nichts mein junges Herz gerühret;

Nun würde dirs durch keinen Gott entführet,

Und gäb' er mir mit seiner Hand

Die Gottheit über Meer und Land.


Ptolomäus.


Ach! willst du mir nicht bald dein zweytes Leben,

Dein Ebenbild in einer Tochter geben?

Nicht dieser Augen schlauen Witz?

Nicht diesen Mund, der Suada Sitz?


[87] Berenice.


Dein sey das Ebenbild des ersten Sohnes!

Wann dich dereinst die Sorgen deines Thrones

Aus meiner Arme Banden ziehn,

Umarm' ich doch, statt deiner, ihn.


Ptolomäus.


Wenn mich und dich die Göttinn Isis liebet,

Und mir dein Bild in einem Sohne giebet:

So bring' ich diese Schal' ihr dar,

Die Zeuginn unsres Bundes war.


[88] Berenice.


Und wenn die Götter mir dein Bild verleihen,

So will ich ihnen diese Locke weihen,

Die funfzehn oder sechzehn Jahr

Die Zierde meiner Scheitel war.


Ptolomäus.


Ach! soll ein Stal diess schöne Haar verletzen,

So muss ein Gott es an den Pol versetzen;

Dort ist der Raum noch nicht gefüllt,

Dort flamm' es als ein Sternenbild.


[89] Berenice.


Bis in den Himmel fliege deine Schale!

Dort werde sie, bey jedem Freudenmahle,

Voll Nektar, der die Götter tränkt,

Und voll Unsterblichkeit geschenkt.


Ptolomäus.


Wann, spät nach mir, dich selbst der Himmel fodert,

Dann thronest du, wo deine Locke lodert:

Der ganze Norden ehret dich;

Doch lange nicht so sehr, als ich.


[90] Berenice.


Mit mir zugleich geneuss im Sternensaale

Den Göttertrank aus deiner goldnen Schale.

Geliebter! kann er süsser seyn,

Als dieser hochzeitliche Wein?


Quelle:
Karl Wilhelm Ramler: Oden, Berlin 21768, S. 84-91.
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Oden
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