An Klarissen

[75] Wien im Weinmond 1780.


Klarisse! wie? ich hätte mich

So sträflich je an dir vergangen?

Ich nährte je nach fremden Wangen

In diesem Busen ein Verlangen?

Leichtgläubige! man täuschet dich.


Entzieh dein allzuwillig Ohr

Dem lügenzüngigen Gerüchte!

Die unverdächtigste Geschichte

Zeigt oft der Neid in falschem Lichte,

Und stellt für Wahrheit Lügen vor.
[76]

Lass deines Herzens Zuversicht

Von bösen Zungen nicht bethören!

Mich soll Verläumdung nie empören:

Mit kaltem Gleichmuth werd' ich hören,

Was Bossheit von dir arges spricht.


Drum sprich, soll Zwietracht und Verdruss

Auf ewig unsre Lieb' ersticken?

O nein! schon schlägt diess Händedrücken

Mir Frieden vor, und mit Entzücken

Nehm' ich ihn an in diesem Kuss.

Quelle:
Joseph Franz Ratschky: Gedichte, Wien 1791, S. 75-77.
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