Der Bär und die Krähe

[200] Wien im Heumond 1785.


Ein alter Bär, den die Musik

Des Jagdhorns einst aus seinem Walde jagte,

Erhohlte nach und nach sich von der Angst, und wagte

Hübsch sachte sich nach seinem Hain zurück.

Bey seiner Ankunft war die erste seiner Sorgen,

Sich nach dem Eichbaum umzusehn,

In dessen hohlem Bauch er sich beym kalten When

Des Wintersturmes oft verborgen.

Als er der Eiche nahe kam,

Entdeckt' er mit Verdruss und Gram

Auf einem Zweig ein Nest voll junger Krähen.

Du Metze! fieng er flugs die Mutter an zu schmähen,

Was hast du hier auf meinem Baum zu thun?

Fort! packe dich von dannen ohne Zaudern![201]

Denn deiner Fratzen stätes Plaudern

Und Zwitschern liesse mich den ganzen Tag nicht ruhn,

Und falls mich auch ihr Lärm nicht molestirte,

So müsst' ich stäts in Sorgen seyn,

Ob deine junge Brut nicht etwan obendrein

Mir auf den Kopf herab hofierte.


Der Bär schloss seine Rede kaum,

So fieng die alte Kräh' ihr Recht auf diesen Baum

Durch manchen Grund vor Meister Petzen

Weitläufig an in's Licht zu setzen.

Doch der erbosste Bär vertrug

Nicht gerne Widerspruch. Er kletterte die Eiche

Hinan mit Brummen, und erschlug

Die junge Brut mit einem Streiche.


Gespornt von Wuth und Rachbegier,

Flog Mutter Krähe nun zum Jäger, und entdeckte

Ihm das verwilderte Revier,

Wo sich der alte Bär versteckte.[202]

Der Jäger wandert' alsobald

Mit seinen Doggen in den Wald,

Und fand den armen Petz in seines Baumes Lücke.

Vergebens sucht der Bär dem Tode zu entfliehn:

Die tapfern Hunde fassen ihn

Erbarmungslos bey der Perücke.


Vertrage dich mit jedermann,

Um niemands Hass auf dich zu laden;

Denn wer dir auch nicht nützen kann,

Kann doch in manchem Fall dir schaden.

Quelle:
Joseph Franz Ratschky: Gedichte, Wien 1791, S. 200-203.
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