Der beruhigte Geliebte

[203] Nach dem Lateinischen des Joannes Secundus.


Wien im Sommermond 1785.


Weil ich, ein Feind von heuchlerischem Zwang,

Mein trunknes Herz der Liebe süssem Hang,

Den Regungen des Blutes überlasse,

Weiht man mich laut dem allgemeinen Hasse:

Es feindet mich der düstre Murrkopf an,

Weil sich dem Ernst der steifen Urgrossväter

Mein freyer Sinn nicht sklavisch fügen kann,

Und fliehet mich gleich einem Missethäter.

Wie? soll ich wohl, wenn ich mit heissem Arm

Den Schwanenhals Amaliens umschlinge,

Und so vor Lust halb mit dem Tode ringe,

Voll Ängstlichkeit mich kümmern, ob der Schwarm

Milzsüchtiger und finstrer Sauertöpfe

Nichts arges denkt? Ihr albernen Geschöpfe![204]

Wie könnt' ich das? An meiner Trauten Brust

Macht Wonne mich mir selber unbewusst.


Mit Lächeln hört' Amalie mich jammern,

Und hurtig kam sie auf mich zugerannt

Gleich einem Reh, mit ihrer Liljenhand

Sich an den Hals des Klagenden zu klammern.

Dann folgt' ein Kuss, so süss, so wonnevoll,

Als einer je zur feyerlichen Stunde

Geheimer Nacht aus Cypris Nektarmunde,

O Kriegesgott! auf deine Lippen quoll.

Was fürchtest du, sprach sie voll Huld, die strenge

Gerichtsbarkeit der unbiegsamen Menge?

Sey gutes Muths! mein Tribunal allein

Hast du, o Freund, in diesem Fall zu scheun.

Quelle:
Joseph Franz Ratschky: Gedichte, Wien 1791, S. 203-205.
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