An das adriatische Meer

[235] Trieft im Brachmond 1786.


Adria, deren elastischem blauen

Busen manch blühendes Eyland entspriesst,

Holde schilfhaarichte Tochter des grauen

Oceans, sey mir, o Göttinn, gegrüsst!


Ehrfurchtsvoll nah' ich der heiligen Urne,

Deren vielfärbiger zackichter Rand,

Ringsum mit Städten gekrönt, die azurne

Ebene deines Gebietes umspannt.


Schön bist du, Nymphe, wenn Zephyr die Falten

Deines smaragdenen Mantels durchpflügt,

Und in den flimmernden silberbestrahlten

Furchen die blitzende Sonne sich wiegt.
[236]

Lieblich ist's, wenn dein Gewässer, sich schaukelnd,

Sachte den Rand des Gestades benagt,

Oder, in schäkerndem Wirbeltanz gaukelnd,

Hastig ein Wellchen das andere jagt.


Sey mir, o Wogenbeherrscherinn, gnädig!

Schütze die schüchterne Barke, die bald

Fern nach dem flutenentstiegnen Venedig

Hin mit mir gleitet, vor Äols Gewalt!


Schirme mich friedlichen Zögling der Musen,

Wenn sich, von tobenden Stürmen durchbrüllt,

Abgrunderöffnend dein gährender Busen

Plötzlich bald senket, bald felsenhoch schwillt!


Schütze das Schiff, wenn mit schrecklichem Dräuen

Eurus das knasternde Segel durchpfeift,

Und mit zerstörendem Grimme den scheuen

Mast ein unbändiger Windstoss ergreift!
[237]

Dankbar gelob' ich, alsdann dir, o traute

Göttinn, ein festliches Loblied zu weihn:

Lauschend vernehm' es in Osten der laute,

Ister, in Westen der wallende Rhein!

Quelle:
Joseph Franz Ratschky: Gedichte, Wien 1791, S. 235-238.
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