An Herrn Pezzl

[238] Venedig im Brachmond 1786.


Du, dessen redliches trugloses Angesicht

Der Seele Lauterkeit beym ersten Blick verkündet,

O Freund, mit dem das Band der brüderlichen Pflicht,

Doch mehr noch eigne Wahl des Herzens mich verbindet,

Diess Blatt, mit welchem dich dein ferner Freund begrüsst,

Sey dir ein Unterpfand, wie theuer du mir bist

Du warst mir gut auf festem Lande:

Sey mir's nicht minder hier am feuchten Meeresstrande,

Wenn gleich itzt zwischen uns so manche Wolke schwebt,

Und mancher steile Berg sein Riesenhaupt erhebt!
[239]

Geliebter! dreymal hat nun Titans goldner Wagen

In Amphitritens flimmernd Grün

Hinunter sich getaucht, seitdem ich (so zu sagen)

In Einem Element hier mit den Fischen bin.

Der Anblick dieser Stadt, die auf dem weichen Rücken

Des mächtigen Neptuns, von der beschäumten Flut

Des Meeres rings bespült, fest, wie auf Felsen, ruht,

Ist in den ersten Augenblicken

Für eines Neulings Aug' ein magisch Phänomen.

Statt Menschen würdest du Amphibien hier sehn,

Die täglich halb auf trocknem Boden leben,

Halb auf der See in schwarzen Gondeln schweben.

Du wähntest, durch die Allgewalt

Des Zaubers unsichtbarer Feen

In eine neue Welt dich hingebannt zu sehen.

Doch, Theuerster, nur allzubald

Hat man aus hundert tollen Streichen,

Wodurch die Menschen sich hiernieden alle gleichen,[240]

Bey diesem Völkchen sich belehrt,

Dass es nur zu gewiss zum Narrenrund gehört.


Freund! wär' ich Heraklit, so weint' ich nun wohl freylich,

Dass ich, wie überall, hier wieder Narren fand:

Doch ein gewisses Mass von Tollsinn ist verzeihlich;

Die Welt ist ja der Thorheit Vaterland.

Man mag sie weit und breit von einem Pol zum andern,

Zu Wasser und zu Land durchwandern,

So trifft man allerwärts der Menschheit Schwächen an.

Wer drob sich härmen will, ist wahrlich schlimm daran,

Besonders hier; denn traun! bey allen Völkerschaaren

Kann Aberglaube sich mit Sittenlosigkeit,

Schamlose Betteley mit Aufgeblasenheit

Wohl nirgendwo, als hier, in solcher Blösse paaren.
[241]

Von einem Baldachin umschanzt,

Und mit Akazien und Rosen rings bepflanzt,

Zeigt sich, von Fackeln hell umschimmert, deinem Blicke

Am höchsten Rand der stolzen Marmorbrücke

Rialto hier das wundervolle Bild

Des Mönchs von Padua, der einem Schwarm von Fischen,

Die höchlich, wie mir scheint, sich seiner rednerischen

Talente wunderten, einst eine Predigt hielt.

Gleich Strömen, welche wild aus ihren Ufern treten,

Drängt sich das Volk herzu, den Götzen anzubeten,

Schlägt mit geballter Faust die fromme Brust sich wund,

Bekreutzt sich, und verzerrt den andachtsvollen Mund.


Nicht fern davon in einer Nebengasse

Sitzt, öffentlich geschützt von einem freyen Passe,[242]

Der ungestraft zum fleischlichen Kommerz

Berechtigt, dort in geilen Gruppen

Ein Amazonenschwarm von Aphroditens Truppen,

Und rufet dich durch ungezähmten Scherz,

Durch freche Schmeicheleyn und buhlerische Künste

Im Angesicht des Volks zu Cypris Opferdienste.


Mit Staunen stehst du da, wenn nun zum erstenmal

Vor dir der Markusplatz sich öffnet, und dich dünket,

Du seyst in jenem Zaubersaal,

Wo mit der Götterschaar Zevs seinen Nektar trinket:

Doch dieser süsse Wahn fliegt wie ein Blitz vorbey,

Und deine Täuschung nimmt ein tragikomisch Ende;

Denn hier naht plötzlich sich mit kläglichem Geschrey

Ein ganzes Bettlerheer, und ringt die eklen Hände,

Um einen Sold dich bittend, rings empor:

Dort steigt mit Kato's Ernst stolz zwischen den Arkaden[243]

Des Platzes, mit der Last des ganzen Staats beladen,

Im Senatorenputz ein Pantalon hervor.

Sein schwarzer Amtsornat, der oben am Genicke

Entspringt, und feyerlich bis auf den Boden reicht,

Hat eines Schlafrocks Form: die komische Perücke,

In Locken ohne Zahl emporgeringelt, gleicht

Dem Haupthaar des berühmten Leuen,

Den einst Sankt Markus zum getreuen

Gespielen sich erkor, und der nun, aufgestellt

Am Markusplatz, mit ihm die Wache hält.


Doch still! mein kühner Mund beginnt sich zu verirren;

In diesem knechtischen Kakistokratenstaat

Gilt jedes freye Wort für einen Hochverrath.

Belauschte mich das Heer der immerwachen Sbirren,

So stünd' es schlimm mit mir: man würde mich fürwahr

Nicht wie den Schmeichler Sannazar

Mit einem Beutel voll Zechinen[244]

Für meine Reimerey bedienen.

Drum lebe herzlich wohl, bis dich in Wiens Gebiet,

Wo keine Sbirren sind, mein Auge wiedersieht!

Quelle:
Joseph Franz Ratschky: Gedichte, Wien 1791, S. 238-245.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Holz, Arno

Phantasus / Dafnis

Phantasus / Dafnis

Der lyrische Zyklus um den Sohn des Schlafes und seine Verwandlungskünste, die dem Menschen die Träume geben, ist eine Allegorie auf das Schaffen des Dichters.

178 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon