Erster Gesang

[15] 1.

Von einer plötzlichen Staatsumwälzung

Und von des Freyheitsbaums glücklicher Pelzung,

Von Gründung einer Regierungsform

Nach Frankreichs nagelneuer Norm,

Von Jakobinerkappen und wackern

Volksdeputierten, die, statt zu ackern,

Mit salomonischem Geist erfüllt,

Gesetze gaben, die niemand hielt,

Wie unter allgemeinem Applause

Aus einem berühmten Patrizierhause

Des Dörfleins Schöpsenheim in der Person

Des Igelwirtssohns ein Timoleon

Hervortrat, das Vaterland zu befreyen,

Und was mir die Muse von seines getreuen

Roßwärters unsterblichen Thaten verrät,

Vom Rechte der heiligen Volksmajestät,

Von allen diesen und anderen Dingen

Von ähnlichem Schlage will ich singen.

Ihr Völker der Erde, räuspert zuvor!

Dann aber schweigt und spitzt das Ohr!

Doch ehe wir noch ab ovo beginnen,

Sey mir, auf gut episch die Pierinnen

Um Beystand anzuflehn, erlaubt!

A Jove principium, ist ein Haupt-

Und Grundgesetz epischer Dichter: Drum munter:

Das Knie gebeugt! Den Hut herunter!
[15]

O Muse der Bänkelsängerey,

Die du, als noch der Kinderbrey

Am Munde mir klebt' und als ich der Windel

Noch kaum entschlüpfte, die Dichterspindel

Mir reichtest, laß, da ich dies Wundergespinst

Von echtheroischem Flachse zum Dienst

Der Mitwelt und der Nachwelt nun dem Rocken

Der Dichtung entspinne, die Spindel nicht stocken!

Verhüte, daß mir im Drehen nicht

Der Faden ausläuft, oder bricht,

Und hilf mir, wenn Kraft und Geduld mir schwinden,

Den schweren Haspel der Reimkunst winden!


Und nun zu meinem Gegenstand!

An Deutschlands südsüdöstlichstem Rand

Liegt, noch durch keinen Büsching verraten,

In einem Kessel von hohen Karpathen

Das durch sein Kommerz mit dem Honigseim

Des Apfelmosts blühende Schöpsenheim.

Hier hauste seit Jahren Herr Willibald Striegel,

Inhaber des Gasthofs zum roten Igel,

Und wegen der stattlichen Korpulenz

Des Schmerbauchs und seiner Omniscienz

Im unerschöpflichen Fache der Pitte

Amtsrichter des Dorfs ad dies vitae.

Die Weisheit und Klugheit, mit der er den Staat

In guten und schlimmen Zeiten vertrat,

Erwarb ihm von Pater Fink, dem jokosen

Herrn Pfarrer des Orts, den gloriosen

Beynamen Pater Patriae.

Mit Ruhm gekrönt, und von der Fee

Fortuna mit Barschaft so reichlich gesegnet,

Als hätt' es Dukaten bey ihm geregnet,

Dünkt' er in seinem Amtsdistrikt

Sich Königen gleich, und war beglückt.

Sein Schöpsenheim war ihm ein Otaheite,

Ein Eldorado, und nannten's die Leute,

Die ihn zuweilen am Kirchweihfest

Besuchten, ein elendes Ratzennest,

So lief vor Ärger die Gall' ihm über.

Kurz, Cäsars bekanntes Sprüchlein: Lieber

Der erste im Dorf, als der zweyte in Rom!

War ihm ein politisches Axiom.
[16]

Nicht minder zufrieden mit ihrem Lose

War seine geschäftige Baucis, Frau Rose.

Die Sorgfalt, daß das Zinn hübsch blank

Gescheuert wär', und im Speiseschrank

Die Mäuse nicht nisteten, nebst der Verwaltung

Des Hühnerhofs, der Aufrechterhaltung

Der weiblichen Zucht und dem stäten Bemühn,

Durch eine strenge Disciplin

Den Zwietrachtsgeist unter den Sanskülotten

Des Herds und des Waschtrogs auszurotten,

War, seit sie das Küchenkommando bekam,

Das einzige, was sie zu Herzen sich nahm.


Aus dieses trauten Ehepaars Liebkosung

Entstand, berufen zum Herold der Losung

Der Freyheit und Gleichheit des Menschengeschlechts

Und des im Naturzustand gegründeten Rechts

Der Sänftenträger und Ochsentreiber,

Der Scherenschleifer und Höckerweiber,

Mein Wunderheld, Namens Melchior.

Zum Zeitpunkt seiner Geburt erkor

Das Schicksal die letzte Hundstagswoche

Zwey Dutzend Jahre vor jener Epoche,

Als, heftig ergriffen vom Paroxism

Der neuen Krankheit, genannt Civism,

Auf einmal das unversehens rappelköpfisch

Gewordne Paris mit sauertöpfisch-

Ernsthaftem Gesicht, wie es Kato schnitt,

Das republikanische Steckenpferd ritt,

Und Völkern, dies sonst frisierte,

Die echte Regierungskunst docierte.


Nach der bewährten Erziehungsart

Der weislichen Urgroßmütter ward,

Gleich einem selten exotischen Schößling

In einem Treibhaus, der einzige Sprößling

Des weltberühmten Strieglischen Stamms

Als Säugling behandelt. Geschnürt in ein Wamms

Vom dichtesten Stoff, und mit Zuckerplätzchen

Gefüttert, erhielt er unzählige Schmätzchen,

Und wurde mit Sorgfalt gehegt und gepflegt.

Das ganze Haus ward aufgeregt,

Um jeder erdenklichen Laune des feisten

Trotzköpfchens stracks Genüge zu leisten.[17]

Nichts, was dem lüsternen Gaumen behagt,

Blieb je dem kleinen Abgott versagt,

Und wüchs es auf den kanarischen Inseln

Und noch viel weiter, so durft' er nur winseln,

Mit Händen und Füßen zappeln und schreyn,

So mußte sein Wille befriediget seyn.


Fußnoten

1 Erste Auflage. Wien 1794. 80 R. starb als Hof- und Staatsrat zu Wien 1810. Die in der Vorrede enthaltene Mitteilung, daß M. Striegel das Werk eines früh verstorbenen Musensohnes, ist eine Fiktion.
[18]

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band140, Stuttgart [o.J.], S. 15-19.
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