Ernstliches Gebet zu Gott

[198] Umb Besserung des gantzen Lebens, Daß wir die schädliche Laster mügen fliehen und allen Christlichen Tugenden mit unserm eussersten Fleisse nachjagen.


1.

Ach höchster Gott, verleyhe mir,

Daß ich nur dich begehre

Vnd daß ich Christlich für uff für

Durch dich mich neu gebäre,

Daß ich, dein Kind,

Dich such uff find

In allem Creutz uff Leiden,

Damit noch Todt

Noch Hellennoth

Mich nimmer von dir scheiden.


2.

Gib meinem Hertzen wahre Reu'

Und Thränen meinen Augen,

Daß ich hinfort das Böse scheu'

Und meine Wercke taugen.

Hilff, daß ich sey

Ohn' Heucheley

Ein Schutz und Trost der Armen,

Auch jeder Zeit

Voll Freundligkeit

Mich jhrer mög' erbarmen.


3.

Lesch' aus in mir des Fleisches Lust,

Daß ich in deiner Liebe,

Nicht in der Welt, empfinde Rust

Und stets also mich übe

Nach deinem Wort'

An allem Orth'

In tugendlichen Dingen:

So wird mein Geist

Sich allermeist

Zu dir, Herr Jesu, schwingen.


4.

Treib' aus von mir den stoltzen Sinn,

Laß mich in Demuht leben.

Rach, Neid und Zorn nimb von mir hin,

So kan ich bald vergeben,

Wenn schon durch List

Mein Neben-Christ

Ins Elend mich getrieben;

Weis ich doch wol,

Daß man auch sol

Die ärgsten Feinde lieben.


5.

Gib mir auch diese dreyerley:

Erst einen festen Glauben,

Bey welchem rechte Treue sey,

Die nimmer steh' auff Schrauben,

Daß ich mich üb'

In wahrer Lieb'

Und hoff' auff deine Güte,

Die mich, O Gott,

Für Schand' und Spott'

Auch biß ins Grab behüte.
[198]

6.

Nach vielem Reichthumb, Gut und Geld',

Herr, laß mich ja nicht trachten.

Gib, daß ich allen Pracht der Welt

Mög' jnniglich verachten,

Auch nimmermehr

Nach hoher Ehr

Und grossen Namen strebe,

Besondern nur

Nach rechter Schnur

Der wahren Christen lebe.


7.

Für Schmeichlen, List und Heucheley

Bewahre mir die Sinnen

Und laß mich ja durch Gleißnerey

Den Nechsten nicht gewinnen.

Laß Ja und Nein

Mein' Antwort seyn,

Darnach man sich zu richten;

Denn dieses kan

Bey jedermann

Die Sachen leichtlich schlichten.


8.

Herr, säubre doch von Eitelkeit

Mein sündliches Gemüte,

Daß ich in dieser kurtzen Zeit

Für schnöder Lust mich hüte.

Des Hertzen Grund

Sey, wie der Mund,

Dem Nechsten nie zu Schaden,

So werd' ich nicht,

Wie sonst geschicht,

Mit Schmähen überladen.


9.

Gib, daß ich ja den Müssigang

Sampt aller Trägheit hasse,

Dagegen, Herr, mein lebenlang

Mein' Arbeit so verfasse,

Daß ich zur Noth

Mein täglich Brodt

Mit Ehren mög' erwerben

Vnd, wenn ich sol.

Fein sanfft und wol

In dir, Herr Jesu, sterben.


10.

Ach gib mir deinen guten Geist,

Daß ich die Laster fliehe

Und nur umb das, was Christlich heist,

Von Hertzen mich bemühe.

So kan kein Leid

In dieser Zeit

Aus deiner Hand mich treiben,

Besondern ich

Werd' ewiglich

Bey dir, Herr Jesu, bleiben.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 2, Hildesheim 1964, S. 198-199.
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