[269] Eines Reisenden oder Wanderers.
1.
Herr Jesu Christ,
Der selbst du bist
Sehr weit ümher gezogen,
Ja welches Hand
Gemacht das Land,
Dazu die Wasserwogen:
[269]
2.
Du bist der Mann,
Der schaffen kan,
Daß wir auff rechten Wegen
Fein friedlich gehn
Und nimmer sehn,
Was uns kan Angst erregen
3.
Sieh', Herr, Ich bin
Bedacht, dahin
In deiner Furcht zu reisen.
Du wollest Mir
Doch für und für
Die sichre Strasse weisen.
4.
Gib Glük und Heil,
Daß Ich in Eil
Die Reise vollenbringe
Und Mir Mein Werk
Durch deine Stärk',
O Vatter, wolgelinge!
5.
Laß Mich doch heut',
HERR, solche Leut'
Auch zu Gefehrten haben,
Die fromm, gelind,
Treü, redlich sind
Und sonst von guhten Gaben.
6.
Dein' Engelein
Laß mit uns sein,
Auf daß wir sicher gehen
Und unser Land
In guhtem Stand'
Hernachmahls wiedrüm sehen.
7.
HERR, lehr' uns auch,
Daß den Gebrauch
Des Reisens wir im Leben
Verstehen recht
Als fromme Knecht'
Und nach dem Himmel streben!
8.
Laß uns doch nun
Wie Pilger thun,
Des Fleisches Lüste meiden
Und stets durch dich
Gedultiglich
Noht, Angst und Trübsahl leiden.
9.
Es komt der Tag,
Da wir mit Klag'
Aus dieser Welt auch reisen
Und in der Klufft
Ohn' alle Lufft
Die Schlanken Würmer speisen.
10.
Doch fährt die Seel'
Aus dieser Höhl'
Hinauff ins Reich der Freüden,
Da keine Noht,
Gewalt noch Tod
Uns kan von Jesu scheiden.
11.
Da darff Ich nicht
Ohn' einigs Licht
Wie hier bei Nacht' oft wallen;
O süsser Ohrt,
Wo fohrt und fohrt
Mein Danklied sol erschallen!
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