Uber das Evangelium am heiligen Pfingsttage, Joh. 14.

[292] Melodie: Durch Adams Fall ist gantz verderbt, u.s.w.


1.

Heut' ist das rechte Jubelfest

Der Kirchen angegangen,

Daran Ein Glantz Sich sehen läst

Des Geistes, den empfangen

Der Jünger Schaar,

Welch' offenbahr

Von disem Himmels Regen

Benetzet ist:

Diß, O Mein Christ,

Kan Hertz und Muht bewegen.


2.

Auf, meine Seel', auf und vernim,

Wie doch in allen Gassen

Gehöret wird die Freüdenstimm':

Euch ist die Sünd' erlassen,

Nun seid Ihr frei,

Es sind entzwei

Der Höllen starke Ketten;

Ein Sünder kan

Für Jederman

Itz auf den Schauplatz treten.
[292]

3.

Nun wird das Evangelium

Auf Einem Wunderwagen

Deß wehrten Geistes weit herum

Geführet und getragen.

O Welch Ein Schatz,

Der Seinen Platz

Bei frommen Seelen suchet!

Wer den nicht nimt

Und Ihm zustimt,

Bleibt ewiglich verfluchet.


4.

Hier schauet man des Glaubens Gold,

Hie wird man frei von Sünden,

Hie läst ein reicher Gnadenhold

Sich überflüssig finden;

Hier ist das Brod,

Das in der Noht

Kan unsre Seelen laben,

Hie finden Sich

Für dich und mich

Viel tausend schöne Gaben.


5.

Heüt' hat der grosse Himmels-Herr

Heerholden ausgesendet:

Schaut Seine tapfre Prediger,

Die haben Sich gewendet

An manchen Ohrt.

Da klingt Ihr Wohrt:

Tuht Buhss', Ihr Leüt' auf Erden;

Diß ist die Zeit,

Welch' Euch befreit

Und lässet selig werden.


6.

Es läst die Wunderschöne Braut

Sich hören auf den Wegen,

Sie tritt hervor und schreiet laut:

Da komt nun Eüer Segen,

Macht auf die Tühr',

Itz geht herfür

Der Geist mit Pracht und Ehren,

Der wil in Euch

Sein herrlichs Reich

Erbauen und vermehren.


7.

Seht, hier ist lauter Trost und Licht,

Seht, hier sind Gnadenzeichen:

Hie darf kein Christ Sich fürchten nicht,

Hie muß der Satan weichen.

Des Höchsten Mund

Macht Einen Bund

Mit Jüden und mit Heiden.

Trotz Jederman!

Nun nichts uns kan

Von Gottes Libe scheiden.


8.

O grosser Tag, O güldner Tag,

Desgleichen nie gesehen!

O Tag, davon man sagen mag,

Das Wunder sind geschehen

Im Himmelreich

Als auch zugleich

Hierunten auf der Erden.

Gott fähret auf,

Des Geistes Lauf

Muß uns hie nieden werden.


9.

Der Jünger Zungen gleichen Sich

Den Schallenden Posaunen,

Ihr Haubthahr brennet wunderlich,

Das Volk wil schier erstaunen.

Es bricht heraus

In Ihrem Hauß'

Ein Wohrt von grossen Thaten.

O Welch Ein Glantz,

Der Himlisch gantz

Ist auf diß Volk gerahten!


10.

Es lassen Sich Luft, Feür und Wind

Vol wunders sehn und hören,

Welch', ob sie wol nicht einig sind,

Hie Niemand doch verseeren.

Des Windes Kraft

Hat nur geschaft,

Daß Sich die Schwache stärken:

Wer Ihn nur hat,

Kan Trost und Raht

In allem Trübsahl merken.


11.

O süsser Tag! Nun wird der Geist

Vom Himmel ausgegossen,

Der Geist, der uns der Welt entreist

Und uns als Reichsgenossen,

Der Sterbligkeit

So gahr befreit,

Zu Jesu lässet kommen.

Ach würd' Ich bald

Auch dergestalt

An disen Ohrt genommen!
[293]

12.

O guhter Geist, regire doch

Mein Hertz, daß Ich dich libe,

Daß Meine Seel' im Sünden Joch'

Hinfohrt Sich nimmer übe.

Herr, laß Mich bald

Des Feürs Gewalt,

Das himlisch heist, empfinden

Und alle Noht,

Ja Selbst den Tod

Durch solches überwinden.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 2, Hildesheim 1964, S. 292-294.
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