Dritte Scene.

[7] GHISMONDE.

Hinweg nun ihr,

In des Klosters verschlossene Räume.

Ueber unsern Häuptern, ach,

Hängt das Schwert!

EINE NONNE.

Sahst du den König schon?

Wie ist sein Antlitz?

GHISMONDE.

Nein, dieses Auge sah ihn nie, – –

Weh mir, einmal doch

Im nächtigen Traume

Erschien er mir.

Hinabgestiegen war ich

In das Dunkel der Grüfte.

Dort hatte gefastet ich,

Blutig den Leib gegeißelt,

Und erschöpft zuletzt

War an den Kreuzen ich niedergesunken.

Da war's mir, als hörte

Seinen Namen ich rufen,

Weh, da erschien er mir,

Weh, daß ich des Traums nicht vergesse![7]

Manfred!

Da sah ich hervor

Aus des Abgrunds Thor

Rosengeschmückt ihn steigen!

Und die Luft erklang

Von Lust und Gesang,

Von jauchzenden Harfen und Geigen!


Da war mir, als sollt'

Ihm minnehold

Fliegen das Herz entgegen,

Als müßte er mir

Der Krone Zier

Auf das Haupt, das glühende, legen.


Nun will das Gesicht

Aus der Seele mir nicht,

Nun muß ich es mit mir tragen!

Nicht här'nes Gewand

Erstickt nun den Brand,

Nicht blutiges Geißelschlagen.


Und flucht ihm der Mund –

In des Herzens Grund

Da hör' ich es lachen und klingen!

Halt über mich Wacht

Du himmlische Macht,

Mich will die Hölle verschlingen!

Harfenklang, – horch, in der Ferne!

Er ist's, er ist's! So hört ich's in meinem Traum!

CHOR DER NONNEN.

Wohin sollen wir entrinnen?

Er kommt auf dem Pfade,

Der zum Kloster führt![8]

GHISMONDE.

Vor jenem Heiligenbilde werft euch nieder!

NONNENCHOR.

Heil'ge Jungfrau, halte mild

Ueber unsre Häupter deinen Schild!


Quelle:
Carl Reinecke: König Manfred. Leipzig [o. J.], S. 7-9.
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