Der weise Solon mit seim son

[131] Im rosenton Hans Sachsen.


21. februar 1542.


1.

Als von Athen Solon, der weise,

hin gen Miletum tet ein reise

zu Thaleti, dem weisen man,

welchen er redet heftig an,

warum er kein efrauen hete,

darmit er kinder zeugen tete;[131]

Thales der sprach, nach dreien tagen,

so wolt er im des ursach sagen.

heimlich ein pilgram abbericht,

der kam und saget fremd geschicht,

als wer er erst von Athen kumen.

die zwen in balt auf ein ort numen;

Solon der fraget in der mer,

ob nichs neues geschehen wer

zu Athen, in seim vatterlande?

der pilgram antwort im zuhande:

»nichs neues ich zu sagen wist,

dan: heut neun tag gestorben ist

ein jüngling bei achzehen jaren,

in kunst und tugent hoch erfaren,


2.

Des vatter hat den höchsten preise

für all burger, tugenthaft, weise,

doch der ietz nicht anheimisch war.

es beleiten des toten bar

die burgerschaft und der senate;

und die gemein der ganzen state

Waren all disen jüngling klagen.

Solon wart disen pilgram fragen,

wie sein vatter genennet wer,

wan im war sein herz also schwer,

gedacht: »villeicht ist mein sun gstorben,

durch ein schwinde krankheit verdorben.«

Der pilgram war gerichtet ab,

sprach: »sein nam ich vergeßen hab.«

Solon in herzenleit hart brennet,

fragt: »war der man Solon genennet?«

der pilgram sprach: »ja, auf mein eid!«

erst fiel Solon in herzenleid,

schlug sich selb und fiel zu der erden

mit überkleglichen geberden.
[132]

3.

Thales, der weis, fieng an zu lachen,

sprach: »Solon, schau, aus den ursachen

hab ich genumen kein eweib,

das kein sam kem von meinem leib,

des verlust mich also tet krenken,

wie dich, in traurikeit versenken.

Doch ste auf, hab ein frölich herze!

die red sint alle nur ein scherze.

dein sun lebet und ist gesunt.

ich hab dir nur endeckt den grunt,

weil du lobest die weib und kinder,

was schmerz und trübsal steck darhinder.«

Plutarchus uns die gschicht beschrieb,

zeigt an, wie durch der kinder lieb

die eltren stets in sorgen leben,

in kümmernus, anfechtung schweben.

sint die kinder noch jung und klein,

die sorg klein und vilfeltig sein;

die großen kind bringen groß sorgen,

sagt das alt sprichwort unverborgen.

Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Erster Theil: Geistliche und weltliche Lieder, Leipzig 1870, S. 131-133.
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