Die königin mit dem merwunder

[299] In der gesangweis Römers.


15. septemb. 1552.


1.

Agilulphus, ein könig, in Lamparten saß,

het ein gmahel, Teudelinda genennet was,

ein adelich und überschöne fraue,

Die mit irem frauenzimer in zucht und er

eins tages ging hinaus spaziren an das mer,

kurzweil zu haben in der grünen aue.

Die königin von in spazirt

mitten nauf an des mers gestat besunder,

fast auf ein viertel meil revirt;

da aus dem mer sprang ein greulich merwunder,

wie ein ber zottet ungeheur,

het flügel geleich einer fledermause,

sein augen brannen wie ein feur;

das ergriff die königin bald im gstrause

und gewaltiklich mit ir rang,

sie schentlich zu notzwingen;

sie schrei und weret sich sein lang,

doch überdrang

das merwunder, und sie notzwang.

und gleich zu disen dingen
[299]

2.

Kam ein ritter vom jeid, eilt zu dem geschrei gar ser;

das merwunder gab balt die flucht, sprang in das mer;

doch tet sie dem ritter die schant nicht sagen;

Der begleit sie, bis sie zum frauenzimer kam,

mit dem eilet sie heim traurig in großer scham,

doch tet sie iren unfal niemant klagen.

Nun war schwanger das traurig weib

von dem merwunder, sie ein sun gebare,

rauch, schwarz und harig war sein leib,

ser greulich; als er alt war auf zwelf jare,

wart er gar wild und ungestum

und schwechet mit gewalt ser vil junkfrauen

und bracht auch vil des adels um,

vor im het iederman ein forcht und grauen;

den küng er überlaufen tet

im sal, in zu erstechen.

der konig noch einen son het,

der an der stet

dem vatter sein leben erret,

werten sich beid des frechen,


3.

Der sie beid wunt, vergleich hautens im wunden groß,

die künigin selb vil scharfer pfeil in in schoß,

bis entlich das wilt kint von in nam schaden.

Der künig sprach: »das ist gewesen nit mein sun.«

bat die küngin, die warheit im zu sagen tun

solchs ebruchs halb, so wolt er sie begnaden.

All ding sagt her die königin,

wie sie wer notzwungen von dem merwunder.

der künig mit seim son reist hin

ans mers gestat, verbargen sich besunder,

schickt die künigin im gestreus aufwerts,

das merwunder sprang wider aus dem mere,

mit der küngin zu haben scherz;

die frau war aber mortlich schreien sere.

vom vatter und son wart zuhant[300]

das merwunder erschlagen.

gerochen wart der köngin schant,

das es niemant

erfure im Lamparter lant –

tut die cronica sagen.

Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Erster Theil: Geistliche und weltliche Lieder, Leipzig 1870, S. 299-301.
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