30. An ein Thal

[292] Ne giammai vidi valle aver si spessi

Luoghi da sospirar riposti e fidi.

Petrarca.

Entlegnes Thal, von Fichtenhöhn begrenzt,

Mit Erlenreihn umhegte, flache Matten!

O Bach, auf dem ein güldnes Schlaglicht glänzt!

O Meierhof, in dunkeln Wallnußschatten!


Der Freudenruf entzückter Wandrer grüßt

Dich, holdes Thal, vom Gipfel ferner Hügel;

Betrachtung sinnt, wo sich dein Quell ergießt;

In deinem Hain saust der Begeist'rung Flügel.


Nimm, trauter Hain, nimm Schattengang, mich auf!

In deiner Nacht entschlummern alle Sorgen!

Beschränkt, wie du, ist auch mein Erdenlauf;

Dein Ausgang mir, so wie sein Schluß, verborgen.


Hier ruht der Ehrsucht Schiff am treuen Strand;

Genügsamkeit band es an Blumenküsten.

Der Vorwitz legt sein Fernrohr aus der Hand;

Besorgnis späht nicht nach der Zukunft Wüsten.


Die Bosheit sprüht hier nicht ihr Nattergift

Auf unbesorgter Unschuld Rosenkronen:

Gerechte Gleichheit teilt des Landmanns Trift,

Und Freiheit herrscht, wo gute Menschen wohnen.
[292]

Das Hohngezisch des Witzlers mengt sich nicht

In dieser Espen friedesäuselnd Wehen:

Kein Lästerkreis hält hier sein Strafgericht;

Kein Neider lau'rt, Gebrechen auszuspähen.


Die Muse wallt auf zartbehalmtem Plan:

Sie folgt dem Bach, der jene Flächen teilet,

Und, gern verirrt auf sanftgewund'ner Bahn,

So lang er kann, in diesem Tempe weilet.


Aus jener Dorfkapell', in Laub verhüllt,

Klang nie das Sturmgeläut' in Schreckensnächten,

Wenn Aufruhr tobt, der tausendstimmig brüllt

Mit Brand und Dolch in hochgeschwung'ner Rechten.


Den Wiederhall der Eppichklüfte schreckt

Kein Schlachtgeschoß; statt rauher Kriegstrommeten

Hallt hier das Horn, das früh die Hirtin weckt;

Der Tag erlischt beim Ton der Weidenflöten.


Hier muht die Kuh auf gelbbeblümter Au',

Dort klingeln hell der Ziegenherde Schellen;

Das Käuzlein schnaubt im alten Ritterbau,

Und Bienen sumsen an des Gießbachs Fällen.


Dort flüstern Silberpappeln sanft umweht,

Die, grün und weiß, die Blätter wechselnd regen;

Das Mühlenrad, das träg' die Schaufeln dreht,

Klappt langsam fort mit gleich gemeßnen Schlägen.


Im Dickicht schallt der Drossel Waldgesang,

Das Heupferd zirpt auf frischgemähter Weide;

Am Hügel klirrt gewetzter Sensen Klang,

Und fern verhallt das dumpfe Stadtgeläute.


O selig, wer, nach freier Herzenswahl,

In diesen Grund sich heimisch siedeln konnte,

Wie dort Petrarch im felsumragten Thal,

Wie Xenophon im ländlichen Scillonte.
[293]

Wer lang' bereut, daß er es einst versucht,

Sich in das Gleis des Weltlings zu gewöhnen,

Der eil', entflohn dem Sturm, in dieser Bucht,

Der Meinung nicht, nur der Natur zu fröhnen:


Hier darf ein Herz, das man schon oft verriet,

Noch eine Welt sich träumen, frei vom Bösen;

Die Liebe, die des Schicksals Härte schied,

Sucht hier den Gram in Thränen aufzulösen.


O du, die mich mit Seraphshuld umschwebt,

Entfernte! hier belebt sich mein Vertrauen;

Die Zukunft glänzt von Hoffnungsgold durchwebt,

Hier dürften wir ein Zufluchtshüttchen bauen.


Die Liebe braucht ein Feld und einen Pflug;

Ein Halmendach, das sie getreu verberge;

Ein Räumchen, zur Umarmung weit genug,

Und einen Platz für zwei vereinte Särge.


O ruht' ich hier, an häuslich stillem Ziel,

Nicht mehr verlockt von nichtigen Entwürfen!

O möchte nie das öde Weltgewühl

In seine trüben Strudel mich verschlürfen!


Fern, wie das Meer ein Hirt in Ennas Thal,

Hört' ich die Flut der Zeitgeschichte tosen;

Nur edler Freiheitshelden Rasenmal

Krönt' ich mit Eichenlaub und Silberrosen:


Undingbar, keines Fürsten Waffenknecht,

Zu edelstolz, um Rang und Sold zu werben,

Entsagt' ich nie der bessern Menschheit Recht,

Für Völkerglück zu siegen und zu sterben.


Dort, wo, gelind, in lauer Luft gewiegt,

Die schlanken Pappeln sich zusammenlehnen,

Vergöss', an meine Urne hingeschmiegt,

Mein junges Weib der Treue stille Thränen.

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 41, Stuttgart [o.J.], S. 292-294.
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