Der letzte Postillon

[64] Bald ist, soweit die Menschheit haust,

Der Schienenweg gespannt;

Es keucht und schnaubt und stampft und saust

Das Dampfroß rings durchs Land.


Und wiedrum in fünfhundert Jahr

Weiß der Gelahrteste nicht

Zu sagen, was ein Hauderer war,

Was Fuhrmanns Recht und Pflicht.


Nur in der Nacht der Sonnenwend',

Wo dunkle Schemen gehn,

Wird zwischen Erd' und Firmament

Ein fremd Gespann gesehn.


Der Schimmel trabt, die Peitsche schwirrt,

Laut schmettert Posthornton,

Als Geist kommt durch die Luft kutschiert

Ein greiser Postillon.


Fahl glänzt am gelben Sperlingsfrack

Thurn Taxis' Wappenknopf,[64]

Er raucht uralten Rauchtabak

Aus braunem Ulmerkopf.


Er raucht und spricht: »O Erdenball,

Wie anders schaust du drein,

Seit ich mit Sang und Peitschenknall

Reichspostdienst tat am Rhein!


O Zeit des Paßgangs und des Trabs,

Des Trinkgelds und des Trunks,

Des Poststalls und des Wanderstabs,

Des idealen Schwungs!


Jetzt geht die Welt aus Rand und Band,

Die Besten ziehn davon,

Und mit dem letzten Hausknecht schwand

Der letzte Postillon.


Jetzt rennt der Dampf, jetzt brennt der Wind,

Jetzt gilt kein Fruh und Spat,

Die Sonne malt und blitzgeschwind

Briefschreibt der Kupferdraht.


O neues Rüstzeug, alter Kampf!

Wo treff' ich Glück und Ruh'?...

O Erdenphosphor, Gas und Dampf!

Fahr' zu, mein Schimmel, fahr' zu!«

Quelle:
Joseph Viktor von Scheffel: Kritische Ausgabe in 4 Bänden, Band 1, Leipzig/ Wien 1917, S. 64-65.
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