Die Heimkehr

[94] Der Pfarrer von Aßmannshausen sprach:

»Die Welt steckt tief in Sünden,

Doch wo der Meister Josephus steckt,

Weiß keiner mir zu künden.«


Und als man rüstet auf Weihnachtzeit,

Da war der Rhein gefroren,

Da stund ein Mann in Pilgramskleid

Wohl vor des Pfarrhofs Toren:


»Herr Pfarr', Ihr sollt mir Indulgenz

Und sollt mir Ablaß spenden,

Daß sich mein arm trübtraurig Herz

Zu neuer Freud' mag wenden.


Herr Pfarr', es war nicht wohlgetan,

Vom rheinischen Land zu scheiden,

Man trifft halt doch kein zweites an,

So weit man auch mag reiten.


Bis hundert Stunden hinter Lyon

Bin ich ins Frankreich kommen,

Manch gutes Frühstück von Austern und Sekt

Hab' ich zu mir genommen.
[94]

Ich hab' zu Marseille im Café Türk

Unter Heiden und Mohren gesessen,

Ich hab' am Pyrenäengebirg'

Lauch und Garbanzos gegessen.


Noch saust der Kopf mir, wenn ich gedenk'

Der Seealpenmaid Filumene:

Zigeunerbraun Antlitz, kohlschwarzkraus Haar,

Wie Elfenbein glänzend die Zähne.


Doch verpecht und verschwefelt ist alles Land

Ohne Freunde und Lieder und Liebe;

Vom Fieber geschüttelt und abgebrannt

Kehr' ich heim aus dem fremden Getriebe.«


Der Pfarr' von Aßmannshausen sprach:

»Wohlauf, bußfertige Seele,

Mit unserm altheiligen Purpurwein

Salbe dir Lippen und Kehle.


Zu demselbigen Wein drei Tag, drei Nacht

In dunkelen Keller dich schließe

Und halt' bei den Fässern trinkend Wacht,

Daß Gnade sich über dich gieße.


In Krone und Anker ergib dich sodann

Den geistlichen Übungen fleißig,

Und erst bei des nächtlichen Wächters Nahn

Dem Chorgesange entreiß' dich.


Dann wird der Himmel ein Zeichen tun,

Er läßt keinen Büßer verderben:

Ein lichtes Weingrün, ein dunkles Rot

Wird Nase und Stirn dir färben.


Und prangt dein Gesicht in solchem Ton,

Dann wird dein Trübsinn sich hellen,

Dann magst du, o lang' verlorener Sohn,

Den alten Freunden dich stellen.
[95]

Wir sind die Alten; noch klingen beim Wein

Die Lieder von damals zu Berge,

Vom ›Spatzen‹ und vom ›Stieglitz fein‹

Und der ›sommerverkündenden Lerche‹.


Wir sind die Alten, wir haben dich gern;

Laß das Herz nicht von Kummer umnachten:

Und hätt'st du noch ärger geschwärmt in der Fern',

Ein Kalb auch würden wir schlachten.«


Da seufzte der Pilgram mit Tränen im Aug':

»O Pfarr' von Aßmannshausen,

Wie Ihr, gottwohlgefälliger Mann,

Sprach keiner mit mir da draußen.


Nun stoß' ich meinen dürren Stab

In diese geweihte Erde,

Daß er in neuem Blatt und Laub

Ein Schattendach mir werde.


Nun ströme, du rheinisch Traubenblut,

Du Hort unsäglicher Gnaden;

In deiner verjüngenden Feuerflut

Will ich gesund mich baden.«

Quelle:
Joseph Viktor von Scheffel: Kritische Ausgabe in 4 Bänden, Band 1, Leipzig/ Wien 1917, S. 94-96.
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