Künstlerleben

[20] Erhabner, seliger Beruf,

Zu dem der Geist, der Alles schuf,

Mich vor der Zeit und Ewigkeit

Als seinen Priester eingeweiht!


Ein Tempel, wo der Künstler lebt,

Wo rings um ihn die Gottheit webt,

Die er, wohin sein Fuß auch dringt,

In ihrer Fülle mit sich bringt!
[20]

Sie nahm ihn früh auf ihren Schooß,

Sie herzte ihn, sie zog ihn groß,

Und, wo er geht und wo er steht,

Ihr Lebensathem ihn umweht.


Wie lächelt ihm die grüne Flur,

Er liest im Sanskrit der Natur;

Wohin er fällt, sein Schöpferblick,

Entströmt ihm Leben, Freud' und Glück.


Wenn Abends er zur Zelle flieht,

Mit ihm hinein die Göttin zieht,

Es kommt der sanfte Mondenschein,

Zum Heiligthum den Ort zu weihn.


Der Jüngling sinkt aufs Lager hin,

Und hoch und höher strebt sein Sinn,

Ihm öffnet sich das Himmelsthor,

Im Traume steigt sein Geist empor.


Wer naht sich ihm im milden Glanz,

Bringt Lorbeer ihm und Myrthenkranz?

Das Ideal, das ihn umschwebt,

Hat es ein Gott für ihn belebt?


»Willkommen auf der Erde hier!

Bist willkomm' und gesegnet mir!

Nimm Altar gleich und Tempel ein,

Füll' ihn mit deinem Heil'genschein.«


O Liebe, Liebe, Dämmerung

Von schönerer Verherrlichung,

Des goldnen Tages Morgenroth,

Dein Friedensherold ist der Tod.


Von dir erquickt, von dir gelabt,

Mit einem höhern Sinn begabt,

Von deinem Leben angehaucht,

Dem Wonnemeer der Geist enttaucht.
[21]

O nimm mich traulich in den Arm,

Hier ist es still, hier ist es warm.

Da draußen ist's so kalt und rauh.

Hier Mondenschein, dort Nebelgrau!


Umfächle stets mich Himmelsluft,

Verweh' nicht Paradiesesduft –

Mit Leib und Seele ganz und gar

Weih' ich mich deinem Hochaltar.


Quelle:
Max Schenkendorf: Gedichte, Leipzig o.J, S. 20-22.
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