Die Tafel am Rhein

[64] Koblenz 1816.


Der Sänger kommt zur guten Stunde

Und ihn empfängt ein holder Gruß,

Den Feldherrn und die Tafelrunde

Erblickt er an dem grünen Fluß.

Der Feldherr läßt den Becher füllen

Mit altem Wein von Rüdesheim:

Du kannst, o Herr, die Sehnsucht stillen,

Ein frischer Trunk weckt frischen Reim.


Den Becher heb' ich in die Lüfte,

Halb trink ich ihn, und gieß ihn aus,

Und spreng' ihn auf die Rasengrüfte,

Auf unsrer Väter stilles Haus.

Nun eingeweiht mit Blut und Weine,

Mein Land, mein Heldenvaterland,

O starker Fluß, ihr dunkeln Haine,

Der Sänger weiht euch Brust und Hand!


Der Freiheit laß ich nun erschallen

Mein zweites Wort, mein kühnstes Lied,

Der Heldenbraut, die von den Hallen

Des Sternendoms hernieder sieht.[64]

Sie hat uns unser Herz genommen,

Hat hoch entzündet unsern Muth:

O süße Maid, wann willst du kommen

Mit deinen Pfeilen, deinem Hut?


Der Schönsten jetzt, die still im Herzen

Ein Jeder nennt und Jeder meint,

Der Guten, die mit Spiel und Scherzen

Den wunderbaren Ernst vereint.

Sie sendet uns in ferne Schlachten,

Wir ziehn um seligen Gewinnst,

Und wie wir dürsten, wie wir schmachten,

Wir sind beglückt in ihrem Dienst.


Den Feldherrn sing' ich und die Waffen,

Die kühn das Vaterland befreit,

Sie mögen ewig Recht verschaffen

Und Sieg der theuern Christenheit.

So hab' ich wol im Knabentraume

Die alte Ritterschaft gesehn,

Ich sehe gleich dem Eichenbaume

Im Waffenschmuck den Feldherrn stehn.


Ich seh' ihn strafend ab sich wenden

Den Feldherrn, der vor Demuth glüht,

Nun darf ich nicht mein Lied vollenden,

Sein Leben ist ein Heldenlied.

Klingt hell dazu ihr Glockenspiele,

Ihr alten Thürme schaut herein,

O komm aus tiefer Nacht und Kühle,

Du Sonnenkind, komm edler Wein!


Der Sänger schweigt, er fährt hinunter,

Auf leichtem Kahn den grünen Fluß,

Und bunter wird's und immer bunter,

Es kommt geflogen Gruß auf Gruß.

Und wenn der letzte Ton verklungen,

Ins Meer der letzte Tropfen rann,

So fängt ein Lied in höhern Zungen,

Im höhern Licht ein Leben an.

Quelle:
Max Schenkendorf: Gedichte, Leipzig o.J, S. 64-65.
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