Der Baum, auf dem die Kinder ...

Der Baum, auf dem die Kinder

Der Sterblichen verblühn,

Steinalt, nichts desto minder

Stets wieder jung und grün.

Er kehrt auf einer Seite

Die Blätter zu dem Licht,

Doch kohlschwarz ist die zweite

Und sieht die Sonne nicht.


Er setzet neue Ringe,

Sooft er blühet, an,

Das Alter aller Dinge

Zeigt er den Menschen an.

In seine grüne Rinden

Drückt sich ein Name leicht,

Der nicht mehr ist zu finden,

Wenn sie verdorrt und bleicht.


Dieser alte Baum, der immer sich erneut,

Auf dem die Menschen wachsen und verblühen,

Und dessen Blätter auf der einen Seite

Die Sonne suchen, auf der andern fliehen,

In dessen Rinde sich so mancher Name schreibt,

Der nur, solang sie grün ist, bleibt,

Er ist – das Jahr mit seinen Tagen und Nächten.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 1, München 31962, S. 391-392,446.
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