Vierter Auftritt.

[288] Jungwitz. Richard. Charlotte. Frau Praatgern.


PRAATGERN.

Ich hoff, ihr liebes Kind wird ihnen doch gefallen.

Ich seh, sie schwatzt schon hübsch. Die Kunst kann sie vor allen.

RICHARD.

So? also ist ja das Charlotte?

PRAATGERN.

Ja, gewiß.

RICHARD.

Sie hat mirs nicht gesagt.

PRAATGERN.

Ja! freylich ist sie dies.

Wie kommen sie darauf, Herr Richard, so zu fragen.

Wenn sie nicht ihre wär, so würd ich es nicht sagen.

Charlottchen küßt sie denn nicht dem Papa die Hand?

Sie glaubens nicht, das Kind hat englischen Verstand.

RICHARD.

Das hab ich nicht gemerkt.

PRAATGERN.

Mehr manchmal, als ich wollte.

Ich weiß wol, daß ich sie so laut nicht loben sollte;

Die Jungfern bilden sich sonst leichtlich was drauf ein:

Die Wahrheit aber will doch auch gesaget seyn.

Ich selber wundre mich manchmal, bey meiner Ehre,

Wie altklug ich sie oft im Hause reden höre.

RICHARD.

Im Hause nur.

PRAATGERN.

Wo sonst? Wir kommen nicht viel aus.[288]

Es kömmt auch nicht gar oft ein Fremder in mein Haus.

Wir leben still für uns. Was würde man sonst denken?

Man pfleget ohnedas den Wittwen nichts zu schenken.

RICHARD.

Frau Praatgern, greiffet sie sogar die Bosheit an:

So glaub ich, daß die Welt nicht lange stehen kann.

PRAATGERN.

Sie wissens nicht, mein Herr. So gehts in grossen Städten.

Man kann in Frieden nicht aus seiner Thüre treten.

Da ist so vieles Volk, das hat sonst nichts zu thun:

Die spotten alle Welt, und lassen niemand ruhn.

Ich will mich überdas nicht in viel Umgang setzen:

Denn da vergeht die Zeit mit vielerley geschwätzen:

Und die sind nicht mein Werk. Da lernt insonderheit

Die Jugend weiter nichts, als lauter Eitelkeit.

Vor diesem war ich auch gern unter vielen Leuten:

Da war ich noch ganz jung und konnte was bedeuten.

Die größte Dame blieb oft ganz verlassen stehn,

Denn alles lief zu mir, ließ ich mich nur wo sehn.

JUNGWITZ.

Das glaub ich.

PRAATGERN.

Eben drum will ich den Umgang meiden:

Denn ich verlang es nicht, daß andre mich beneiden.

RICHARD.

Nun! itzo wird sie doch dafür gesichert seyn.

PRAATGERN.

Ich leb auch lange schon ganz sittsam und allein.

Um ihre Tochter ja in gar nichts zu versäumen;

Hat meine Tochter selbst mein Haus ganz müssen räumen.

Das arme Mädchen ist in meiner Schwester Haus,

Da sieht sie nicht viel Guts, drum wird auch nicht viel draus.

Warum ich sie nicht gern beysammen bleiben lasse,

Das ist insonderheit, weil ich das Plaudern haße.

Zwey Mädchen reden nur, wie man sich putzen soll,

Und schwatzen sich den Kopf von Eitelkeiten voll.


Die Herren werden es uns doch nicht übel nehmen.

Ich muß mich heute fast, mich sehn zu lassen, schämen.

Sie sehen, daß wir nicht recht angezogen sind.

Wir waren nicht recht wohl, ich und das arme Kind.

RICHARD.

Nicht angezogen? Wie? Sechs Blumen in den Haaren,

Und Röcke, wie ein Zelt für sieben Janitzscharen?

Ist das noch nichts?

PRAATGERN.

Das ist, so wie ich täglich geh.

Ich putze mich nicht viel, weil ich doch niemand seh.

Selbst meine Schwester spricht: laß dich, pflegt sie zu sagen,

In die Comödie, und zum Concerte tragen.[289]

Doch mit der Eitelkeit laß ich mich gar nicht ein,

Denn man geht doch dahin nur um gesehn zu seyn.

JUNGWITZ.

Doch denken, wär ich da, so wird auf mich gesehen,

Frau Praatgern, kann wol das ohn Eitelkeit geschehen.

PRAATGERN.

Nein! biethen sie mir nur, dahin zu gehn, nicht an.

Ich werd es niemals thun, und hab es nie gethan.

Charlotte fraget auch nicht viel nach solchen Sachen;

Sie denkt nicht einmal dran, sich eine Lust zu machen.

Sie war auch schon ganz klein ein recht verständig Kind.

Aus wem was werden soll, das zeigt sich gar geschwind.

Sie war so fromm, so still. Sie hat mich nie gestöret,

Ich habe manchen Tag nicht einen Laut gehöret.

RICHARD.

Frau Praatgern, hör sie an: komm sie allein mit mir.

Herr Jungwitz, red er hübsch mit meiner Tochter hier.

Die Mägdchen wollen oft ihr Mundwerk erst nicht zeigen,

Hernachmals bäthe man sie gerne still zu schweigen.


Quelle:
Johann Elias Schlegel: Ausgewählte Werke. Weimar 1963, S. 288-290.
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