[290] Charlotte. Jungwitz.
JUNGWITZ.
So seh ich, kann man auch in Städten einsam seyn?
CHARLOTTE.
O Ja!
JUNGWITZ.
Wird ihnen denn die Zeit nicht lang?
CHARLOTTE.
Ach nein!
JUNGWITZ.
Vielleicht vertreiben sie sie sich mit Bücherlesen?
CHARLOTTE.
Ach nein!
JUNGWITZ.
Das Wetter ist bisher sehr schlecht gewesen.
CHARLOTTE.
Ich weiß nicht.
JUNGWITZ.
Zwar für sie ist es wol niemals schlecht.
Sie kommen nicht viel aus.
CHARLOTTE.
Da haben sie ganz recht.
JUNGWITZ.
Doch ihr Papa und ich, wir hatten zu der Reise
Sehr schlechte Wege.
CHARLOTTE.
So?
JUNGWITZ.
Der Belt ging noch mit Eise.
CHARLOTTE.
So?
JUNGWITZ.
Aber die Begier sie desto ehr zu sehn,
Ließ uns darum nicht ruhn, wir musten übergehn.
CHARLOTTE.
So?
JUNGWITZ.
Und sie sehnten sich doch den Papa zu kennen?
CHARLOTTE.
Warum nicht?
JUNGWITZ.
Er ward auch nicht müde sie zu nennen.[290]
Die ganze Reise durch fiel sonst kein ander Wort,
Als nur von ihnen vor.
CHARLOTTE.
Wann gehn sie wieder fort?
JUNGWITZ.
Wie kommt es, daß sie schon nach unserm Abschied fragen?
Die Frage scheinet mir nichts guts vorher zu sagen.
CHARLOTTE.
Warum?
JUNGWITZ.
Wir haben erst verschiednes hier zu thun,
Und unsre Rückkehr wird auf ihnen mit beruhn.
CHARLOTTE.
Wie so denn?
JUNGWITZ.
Ganz gewiß. Die Zeit wird es schon weisen.
Wir wünschen ohne sie von hier nicht wegzureisen.
CHARLOTTE.
Ja! wenn ich reisen soll und die Frau Praatgern will.
JUNGWITZ.
Sie gehn doch gern aufs Land?
CHARLOTTE.
Nein! da ist es so still.
JUNGWITZ.
Das lieben sie ja wol, weil sie so einsam leben.
CHARLOTTE.
Ja! es ist in der Stadt doch besser.
JUNGWITZ.
Sie vergeben.
Ich halt es mit der Stadt, wenn man Gesellschaft liebt:
Doch, um allein zu seyn, da ist die Stadt betrübt.
CHARLOTTE.
So? Meynen sie?
JUNGWITZ.
Man hört zwar in der Stadt viel Sachen,
Die manchmal lustig sind und was zu reden machen.
CHARLOTTE.
Sehr wenig.
JUNGWITZ.
Das wär viel! Geschieht nichts neues hier?
CHARLOTTE.
Letzt war hier eine Frau, mich dünkt, die sagte mir,
Der Caffee würde theur, und wäre wenig nütze,
Und auch der Thee.
JUNGWITZ wischt sich den Schweis ab.
Mich dünkt, hier ist sehr grosse Hitze.
CHARLOTTE.
Ach nein!
JUNGWITZ.
Mir ist gleichwol so heiß – – – so wunderlich.
Die Angst – – vergeben sie – – Ach! – – ich empfehle mich!
CHARLOTTE.
Sie gehn schon. Wollen sie nicht erst Quadrille spielen?
JUNGWITZ.
Verzeihn sie, daß ich geh, mich etwas abzukühlen.
Ausgewählte Ausgaben von
Die stumme Schönheit
|
Buchempfehlung
»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«
72 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro