IV

[59] Der junge Weldein wollte Maler werden, und sein Vater war stolz darauf. Er mag erreichen, was mir nicht geglückt ist, dachte er. Aber die erste Zeit war schlimm genug! Die Künstlerschaft fing damit an, daß man den Jungen aus der Schule jagte. Er taugte nichts; er zeichnete während der Schulstunden und kümmerte sich nicht um die Dinge, die man von ihm verlangte. Und zu Hause! Da saß er zuweilen vor einem Blatt Papier und übte sein Talent; meist aber stand er müßig beim Fenster und starrte in die Luft. Dann ging er auch hinunter in den Hof, tollte herum mit den Buben und Mädeln. Spät abends erst kam der Vater; – nach der Arbeit das Wirtshaus, dann die Familie. – Und manchen Abend, wenn das Geld für die Schänke nicht mehr reichte, dann nahm er wohl den Jungen mit sich und spazierte durch die Straßen der Stadt. Und beinahe jeden Tag denselben Weg ... vor dem Klub vorbei, durch die lange Straße ... links ... links ... und zum Flusse hin. Und er dachte: »Was hätte aus ihm werden[59] können, wenn ich das Geld hätte! Und jetzt wird er sich plagen müssen, bis man überhaupt bemerkt, daß er da ist ... er wird verhungern, bevor er etwas Großes geworden.« Und sie wanderten zusammen am Ufer des Flusses hin und her, arm beide, der alternde Vater mit den halberloschenen Augen in dem aufgedunsenen Gesicht und der Jüngling an seiner Seite mit dem sehnsüchtigen Blick ... Und manchmal sah ihn der Vater an und dachte, wie er selbst einmal so Herrliches gewollt und wie die Welt vor ihm schön und weit dagelegen. Und noch einmal, später, an jenem Abend, wo er reich geworden, ja noch einmal so schön und weit. Und von neuem ergriff ihn eine stille Verzweiflung ... wollte es denn nicht enden? Und dabei zog es ihn immer denselben Weg zur selben Brücke. Oh, es war besser, sich betrinken, als immer daran denken müssen! ... Der Franz zeichnete und malte weiter, Köpfe zumeist, in denen ein gewisser leidenschaftlicher Ausdruck steckte; der Vater glaubte Talent darin zu sehen; ja, er sagte ihm einige Male ... »Geh hin, zeige sie in der Akademie, vielleicht nehmen sie dich auf! ...« Aber der Junge entschloß sich nicht dazu; die Blätter wurden verstreut, und er selbst tat wochen- und monatelang nichts, gar nichts ... Dann kam es dazu, daß er dem Vater manchmal bei der Arbeit aushalf. Und es geschah auch, daß er mitten in der erbärmlichen Anstreicherei seinen wahren Genius erwachen fühlte, den groben Pinsel, die Farben, den ganzen Taglohn hinwarf, nach Hause eilte und sich ins Zimmer verschloß, um zu zeichnen oder zu malen. Da saß er stundenlang, und es war ihm, als müßte er etwas Großes, Herrliches vollenden. Und wenn es zu Ende war, war's wieder mißlungen. Er warf das Zeug in eine Ecke, und es begann wieder eine Zeit des Nichtstuns, in der er sein Geld in Gesellschaft leichtsinniger Kameraden vertrank und verspielte.

So vergingen die Monate und Jahre, und der Hausstand von Weldein Vater und Sohn fristete ein armseliges Dasein von Tag zu Tag. Und einmal, Franz stand damals im zwanzigsten Lebensjahre, kam er frühmorgens nach Hause, als die Sonne schon in die Stube hereinblickte. Der Vater lag nicht im Bette; er lag auf der Erde, atmete schwer, das Gesicht war rot; die grauen Haare, verwirrt, hingen in die Stirne herein. Franz schaute ihn lange an. Ihn schmerzte der Kopf; auch er war von einer durchschwärmten Nacht heimgekehrt; hatte seine letzten paar Groschen verspielt, wie sie sein Vater vertrunken hatte ... Ein leichter Schauer durchfuhr den jungen Mann. Welch ein Leben lag[60] vor ihm! Welch ein leeres, elendes Leben! Und nach einer Weile rückte er sich den Tisch zum Fenster hin, und auf ein Blatt Papier begann er eine Skizze hinzuwerfen ... Anfangs ging die Arbeit nicht recht von der Hand; als die Stunden weiterrückten, ward es besser. Er empfand es, das mußte was Rechtes werden. Und immer weltvergessener arbeitete er fort, als wäre nichts um ihn, was ihn kümmern könnte. – Das Blatt Papier war zu klein ... er zerriß es, nahm ein größeres und begann von neuem. Und die Begeisterung mit all ihren Wundern kam über ihn ... Die Arbeit ward ihm so leicht, es war gar keine Mühe mehr. Und die Stunden verrannen, der späte Nachmittag war da ... Die Skizze war vollendet ... Ein kleiner Wirtshaustisch, um ihn herum ein paar Trinker und Spieler, das war alles. Und am besten, wie gewöhnlich, war ihm der Ausdruck der Leidenschaften in den Gesichtern gelungen. Er betrachtete sein Werk mit glühenden Augen. Das war wenigstens ein Stück von dem, was er gewollt. Er wandte sich um, sein Vater stand hinter ihm. »Guten Morgen ... Franz«, lallte er.

»Guten Abend« ... erwiderte Franz. –

»Ah – schon Abend ... das war ein gesunder Schlaf.« Er lachte. »Es war lustig gestern ... ja ... Und du hast wieder einmal was gemacht? Laß schauen ... So ...« Er sah die Skizze aufmerksam an ... »So ...« Er wurde ernst ... ein Gefühl von Vaterstolz erwachte in ihm ... »Du, das ist schön, sehr schön ... So was ... Franz ...« Er hielt inne.

»Was meinst du, Vater?«

»So was hab' ich nie getroffen ... auch in besseren Zeiten nicht!«

Und beide, Vater und Sohn, ließen ihre Blicke auf der Skizze weilen.

Nach einer Weile hob der Vater das Bild vom Tisch auf, und es dem Sohne reichend, sagte er: »Du, das aber trag hin ... jedenfalls. Trag's hin in die Akademie.«

Quelle:
Arthur Schnitzler: Gesammelte Werke. Die erzählenden Schriften, 2 Bände, Band 1, Frankfurt a.M. 1961, S. 59-61.
Lizenz:
Kategorien: