1.

[246] Die Sechstine nennet man / wan die Verse nach jhren Reimmaassen vnd Abschnitten zwar völlig und untadelhaft gemacht / aber gans ungereimet gesetzet / und zwar also geordnet sein / daß der erste Reimschluß in sechs Zeilẽ oder Versen bestehe / welche sich aber nicht reimen / sonderen das letzte Wort in dem letzten Verse / muß in dem folgenden Reimschlusse das erste bleiben / und das letzte Wort der ersten Versen in dem ersten Reimschlusse / muß in des anderen Reimschlusses anderem Verse das letzte werden / und also ordentlich immerfort: Dan allemahl muß das letzte Wort in jedem Reimschlusse / in dem ersten Verse des[246] folgenden Reimschlusses sich finden / bis die sechs Wörter / so zur Sechsstine gebrauchet werden /durch abgewechselte Sechs Reimschlüsse jhren umlauff vollendet haben. Der siebende Reimschluß / als ein Nachklang wird halbiert / weil in jedem Verse zwey Sechsstinische Wörter ördentlich gesetzet werden. H. Opitz hat ein Exempel in der Hercinia / wie auch Herr Cæsius. Wir setzen zur anzeige eine


Glükwünschend-Sechstine

So auf den hochfeyerlichen Geburts Tag


Des Durchleuchtigen Hochgebornen Fürsten und Herrn / Herrn Augusti / Heertzogen zu Braunschweig und Lůneburg etc. als S.F. Gn. denselben mit guter gewünschter Leibes-Gesundheit eben zum 66. mahle hinter sich gelegt / zum ersten mahle aber in dero Haubt Festung Wolfenbüttel denselben in gnaden begehen lassen / S.F. Gn. unterthenig überreichet worden. Dabey aber zu wissen daß aus dem Namen


Fůrst Augustus Heertzog zu Braunschweig unnd Lüneburgk. etce.

Durch Letterwechsel sich finde

Gewünscht Glük wird Er nach Verzug groß bawen /fest besitzen.


(Auß diesem Letterwechsel sind die Sechsstinischen Wörter genommen / nemlich Verzug / Glůk /bawen / besitzen / fest / gewůnscht / wie zu sehen) in folgender[247]

Sechstine.


1.


1. Es wikkelt sich gar oft und spielet mit verzug

2. Eh sich zu eigen gibt ein hochgewünschtes glük:

3. Man muß mit Meisterhand / und mühsamlich aufbauen

4. Eh man sein eigen Haus versichert kan besitzen:

5. Nur wan man wol geharrt / gebaut / getrauet fest /

6. Dan folgt die Nießung recht gantz eigen und gewünscht.


2.


6. Die Oster Sonne kommmt und strahlet uns gewünscht /

1. Blikt lieblich-klar / und scheint viel schöner nach verzug /

2. Bringt den Geburts Tag her und drin ein hohes Glük /

3. Ein langes hohes Glük / so wil der Himmel bauen /

4. Und unser Fürst und Herr ruhm würdigst soll besitzen /

5. Und die Sta reiche Seul Hochfürstlich gründen fest.


3.


5. Hochweiser Fürsten-Held / jhr habt so wol uñ fest /

6. Ihr habt klugmutiglich / jhr habt so hoch gewünscht /

1. Durch ungebahnten Weg / durch eil und durch verzug

2. Gegründet und erbaut des Vaterlandes Glük:

3. Wir wollen Land und Hertz mit treu und lieb ümbauen /

4. Und lassen das mit lust und nach geboht besitzen.
[248]

4.


4.Gott schenkt zu diesem Jahr das Stammhauß zubesitzen

5. Und Stammet unsren Wunsch / jhn pflantzend wol und fest /

6. Weil den Gebuhrts Tag eins / mit freuden / so gewünscht /

1. In dieser Welpenstat / nach langem hinverzug /

2. Der Landes Vaters Sehn / und in jhm unser Glük /

3. Gott wird jhn und sein Hauß / und uns durch jhn aufbauen.


5.


3. Fried / Treu / Gerechtigkeit soll bey uns Wohnung bauen /

4. Die Tugend jhren Trohn / so sehr verwüstt besitzen:

5. Die wahre Gottesfurcht sich Stammen tief und fest /

6. Die Frommen jhren Stand auch finden wolgewünscht /

1. Die Bösheit nach verdienst gestraffet ohn verzug /

2. Auf Gott / auf Fried / auf Recht / soll stehen unser Glük.


6.


2. Nun / Gott schik Unglük weg / Send gnädig rechtes Glük /

3. Strek aus die Gnadenhand noch lange zeit zu.

4. Das Jahr voll Glůk und Lust / das unser Fürst besitzen

5. Und stets geniessen soll: Gott / bau die Festung fest

6. Und schleus den Himmel auf / streu Segen aus gewünscht /

1. Send Gnadenblikke her zu uns / Herr ohn verzug.
[249]

Nachklang der Sechstine.

Nun es sey kein Verzug / der Tag ist hie gewünscht;

Augustus stehet fest: Er soll die Ruh besitzen

Die wir mit wünschen baun / und Gott beschert mit Glük.

Quelle:
Justus Georg Schottel: Teutsche Vers- oder Reimkunst. Lüneburg 1656, S. 246-250.
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