An den Mond

[61] Da steht der Mond! verweile,

Verweile, lieber Mond,

Wo ein Genoß der Eule

In Felsentrümmern wohnt.


An meiner Handbreit Himmel

Steh' still und säus'le Ruh'

Nach so viel Angstgetümmel

Dem müden Herzen zu.[61]


Doch scheinst du mir so trübe;

Dies Leichenangesicht

Ist nicht das Bild der Liebe,

Das Trost herunter spricht.


So blaß, so bangsam stille

Sah ich nie deinen Schein.

Mich dünkt, o Mond! dich hülle

Ein Todtenschleier ein.


So hast du nicht geschienen,

Wenn ich dich ehmals sah,

Mit diesen bleichen Mienen

Und diesen Flecken da.


Sind's Thränen, diese Flecken,

Die dein Bewohner weint,

Wenn Kerkernächt' ihn schrecken

Und keine Sonn' ihm scheint?


Giebt's denn, du Nachtgefährte,

Bei dir auch so viel Qual,

Wie hier auf unsrer Erde

Im Todtenschädelthal?


Ach nein! nur uns Betrübte

Trifft Kerkerqual und Tod.

Dort wandeln Gottgeliebte

Vom Elend unbedroht.


Doch säuselst du auch Freuden,

Du lieber Mond, herab,

Und kühlst nach heißen Leiden

Den Erdenpilger ab.


Wenn im Gefühl der Schmerzen

Uns eine Thrän' entfällt,

So füllst du unsre Herzen

Mit Ahnung jener Welt.[62]


Dem Frommen und dem Weisen,

Den Seelen voll Gefühl,

Die deine Schöne preisen,

Giebst du der Freuden viel.


Vielleicht mit hellen Wangen,

Wird ach mein Miller jetzt

An deiner Scheibe hangen,

Von Sympathie durchblitzt.


Fass' ihn mit einem Schauer

Und zeig' ihm dann mein Bild

Von tiefer, stummer Trauer

Und langem Elend wild.


Zeig' ihm mein strohern Bette,

Des Kerkers feuchte Nacht,

Und diesen Ring, zur Kette

Für seinen Freund gemacht.


Mal' seinem zarten Sinne

Die Wand hier, schwarz vom Rauch,

Bekrochen von der Spinne

Und von des Wurmes Bauch.


Mal' ihm die Eisenstange,

An der dein Licht verbleicht,

Wo trüb' und stumm und bange

Der Tag vorüber schleicht.


Das fürchterliche Schweigen

Der Menschen um mich her,

Mein Jammern ohne Zeugen,

Mein Herz vom Troste leer.


Zeig' ihm die Nadelspitze,

Die meine Adern zwingt,

Bis aus der Purpurritze

Blut statt der Tinte springt.[63]


Zeig' ihm den Ziegelboden,

Wo ich so manchen Tag

Gestreckt, gleich einem Todten,

In starrer Ohnmacht lag.


Wenn dann im Angesichte

Des Edlen Thränen glühn,

So tret' in deinem Lichte

Mein Engel vor ihn hin.


Und sage: Miller! trauernd

Verließ ich deinen Freund

Im Kerker; sehnsuchtschauernd

Hat er nach dir geweint.


Ach, bet' in Mondglanznächten

Um deines Freundes Tod.

Das Beten des Gerechten

Vermag ja viel bei Gott.


O Mond! noch immer trübe

Blickst du aus weißem Flor?

Bescheinst du meine Liebe?

Sieht sie nach dir empor?


Kniet sie in ihrer Kammer,

Und betet sie für mich?

So stille ihren Jammer,

O Mond, ich bitte dich.


Kühl' sie mit Himmelslüften,

Wenn ihre Wange glüht,

Und sie in deinen Düften

Mich Armen schweben sieht.


Ach, meinem Arm entrissen

Weint sie vielleicht um mich;

Und unsre Blicke küssen

Auf deiner Scheibe sich.[64]


Du liebe Gattin, sterben,

Ach sterben möcht' ich nun,

Mein Kleid im Mondglanz färben,

In seinen Thalen ruhn.


Genug hab' ich gestritten

Mit tausendfacher Noth;

Willst du um etwas bitten,

So bitt' um meinen Tod.


Dann fliegt vom Aschenberge

Die Seel', o Mond, zu dir

Und läßt gefüllte Särge

In Gräbern unter ihr.


Du meine Witwe, blicke

Dann froh hinauf zum Mond,

Wo frei vom Mißgeschicke

Dein armer Gatte wohnt.


Siehst du am Mond vorüber

Ein Wölklein ziehn, so sprich:

Dort kommt vielleicht mein Lieber

Und betet nun für mich.


Einst flieg' ich dir, du Treue,

Entgegen, wenn dein Geist,

Beströmt von Himmelsbläue

Und Mondglanz, Jesum preist.


O Trost, nun klag' ich nimmer

So wüthend meinen Schmerz;

Denn Hoffnung, hell vom Schimmer

Des Monds, erquickt mein Herz.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 61-65.
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