Der Reichsadler

[184] Ein aufgelöstes heraldisches Räthsel.


Ihr Forscher in der Wappenkunde,

Was fragt ihr ängstlich nach dem Grunde:

Warum in jeder Schilderei

Der deutsche Adler doppelköpfig sei?

»Zwei Köpfe,« sprecht ihr oft im Feuer,

»Sind ja ein wahres Ungeheuer,

Und Köpfe noch dazu, wie die,

Voll bissiger Antipathie.«

O laßt doch einmal nach, mit Forschen euch zu plagen!

Ein Novellist sogar kann euch die Wahrheit sagen.

Der eine Kopf, der westwärts blickt,

Sanft scheint und desto schärfer pickt,

Ist Kaiser Josephs Kopf, des toleranten Weisen!

Der andre Kopf, der ostwärts schaut,

Scharf sieht und mit dem Schnabel haut,

Ist Friederich, der Donnergott der Preußen.

Warum sie aber uneins sind,

Begreift beinah ein kleines Kind;

Sie sind entzweit in dem gemeinen Falle:

Was eine Kralle packt, packt auch die andre Kralle!

Drum zerren sie so jämmerlich –

Vaterland, wie daurst du mich!

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 184.
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