II, 1.

[36] Oeffentliche Promenade, auf der, von einander getrennt, feingekleidete junge Damen und schneidige junge Offiziere lustwandeln. Rechts ein Hausbau, an dem Maurergesellen beschäftigt sind und zu dem Schalk eben herantritt.


ERSTE DAME.

Wir ziehen sie uns nach wie auf Kommandowort

Des Obersten, nur mit dem Unterschied,

Daß willig sie hier folgen, während dort,

Wo der Befehl die Truppen nach sich zieht,

Oft innerlicher Fluch sich murrend regt.

ZWEITE DAME.

Wer ist es nun, der die Armee bewegt?

DRITTE DAME.

Für uns auch kleiden sie sich also nett.

ERSTE DAME.

Gewiß! Und schnüren sich in das Korsett.

ERSTER OFFIZIER.

Ganz wesplich! Ich beneid' um seine Schlankheit

Das Grazienkleeblatt.

ZWEITER OFFIZIER.

Das ist deine Krankheit:[36]

Du suchst in Körperlosigkeit den Reiz,

Verlangest von dem Fleische Geiz.

DRITTER OFFIZIER.

Aufheben will er das für spätere Perioden.

Das schlichte Liedchen erst, dann fette Oden.

ERSTER OFFIZIER.

Sie eilen wie Gazellen hin. Mein bestes Pferd

Blieb da zurück. Ist es nicht staunenswerth?

ZWEITER OFFIZIER.

Ja staunenswerth, daß du der Mähre denkst

Bei solchem Anblick und die Damen kränkst!

Sag' lieber, daß sie flögen hin wie Gold,

Das auf der Spielbank zum Gewinner rollt.

DRITTER OFFIZIER.

Wir reden wieder von der einz'gen Drei,

Die, wie man sagt, bei uns Gesprächsstoff sei.

Ich speiste lange Zeit durch im Hotel

Mit Kameraden; da war auch zur Stell'

Ein alter Philosoph, ein rechter »Schopenhauer«,

Der hörte unserm Reden zu mit Trauer;

Und jeden Tag legt neben sein Couvert

Mit mürr'scher Miene hin ein Goldstück er.

Nach jedem Essen steckt er's wieder ein.

Was mochte nur dabei die Absicht sein?

Ich wurde bös' ob des vertrackten Brauchs

Des immer stumm geblieb'nen vollen Schlauchs;

Und fragte eines schönen Tags ihn keck,

Was mit dem Goldstück hab's für einen Zweck.

Er schaut mich an und spricht: »Herr Leutenant!

Der Armenkasse sei es zugewandt,

Sobald nur Sie und Ihre Kameraden

Von etwas anderem beim Mittagsbraten[37]

Als von den Damen, von dem Spiel und Pferden

Zur Abwechslung je reden werden.«

Er grüßt und steckt zu sich den Doppellouisd'or.

ERSTER OFFIZIER.

Der Schnupftabak kommt etwas stark mir vor.

ZWEITER OFFIZIER.

Wir haben drüber uns'rer Damen Spur verloren.

DRITTER OFFIZIER.

Seitdem lass' das Civil ich ungeschoren.


Den bereits abgegangenen Damen folgen die Offiziere.


Quelle:
Schäfer, Wilhelm: Faustine, der weibliche Faust. Tragödie in sechs Aufzügen nebst einem Vorspiel und Prolog, Zürich 1898, S. 36-38.
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