309. Richard Löwenherz und Blondel.

[304] Von L. Zapf.Trifels bei Annweiler.Math. Paris hist. angl. 121. Struv. corp. hist. Germ. p. 422. Schoepflin Alsat. II., 188.


1.

Die Schwalben fliegen schnelle,

Es wandert schnell der Rhein,

Die Winde umwehen die Zelle,

Drin der König sitzt allein.

Herr Richard! Herr Richard! dich heißt es


Mit Locken auch wandern geh'n!

Dies sagt das stille Sehnen,

Das deinen Blick umflicht –

Dies künden deine Thränen

Im bleichen Angesicht!


2.

Herr Richard sitzt am Fensterlein

Und lugt betrübt hinaus –

Dort außen fluthet hell der Rhein,

Es schallt wie Wogenbraus.


Dort klingt und wallt der grüne Rhein

In lichter Abendgluth,

Die Burgen schauen stolz darein,

Sich spiegelnd in der Fluth.


»O daß ich ewig liegen muß

Im alten Felsenhaus!

O trüge mich der deutsche Fluß

In's weite Meer hinaus!


Ins weite und ins freie Meer

Bis an mein Heimathland,

Oft leuchtet mir im Traume her

Sein weißer Felsenstrand!«


Er drückt sich auf die dunkle Bank

Und wünscht den Tod heran,

Das Auge trüb, das Herze krank.

Stiert er den Boden an.


Dem alten Kummer gibt er Raum,

Wird ihm auch noch so bang –

Und lieblich tönt's in seinen Traum

Wie frommer Harfenklang.
[304]

Wie jenes Lied, das oft daheim

Er sang an Freundesbrust –

Der Traum ist süß! – der alte Keim

Schwellt ihn mit hoher Lust.


Er sieht sich wieder froh und frank – –

Und doch – das ist kein Traum!

Das ist Gesang! – er läßt die Bank,

Er lauscht am Gittersaum:


Von unten schallt es mild herauf

Wie nie ein Trost erscholl –

Da geht ein Licht ihm strahlend auf:

»Mein Blondel liebevoll!«


Mit weicher Stimme fällt er ein

Und singt das Lied zu End' –

»Das möge dir ein Zeichen sein,

Auf daß mein Leid sich wend'!«


Er weiß, nun ist vorbei die Noth,

Die Thräne rinnt herein –

Und draußen glüht das Abendroth

Und rauscht der grüne Rhein.


3.

»Mein Richard, o mein Richard!«

»Mein Blondel, treu und gut!«

Sie halten sich umschlossen

In ihrer Liebesgluth.


Der Sänger mit der Laute,

Der König im Purpurkleid –

Zwei treue Freundesherzen

In Freude und in Leid.


Sie halten sich umschlossen

Und weinen leis und lind;

»O glücklich, dreimal glücklich,

Daß ich dich wiederfind'!«


Es mahnt sie an die Ferne

Und an die Burg am Rhein,

An seine grünen Wellen

Und an den güldnen Wein;


Und an die stille Zelle

Und an des Liedes Klang –

Sie halten sich umschlossen

Und weinen leis und lang.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 304-305.
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