1064. Das Geistermahl auf der Burg Wallenroden.

[118] Mündlich.


Eine lustige Gesellschaft war noch tief in die Nacht bei dem Pfarrer von Bernek versammelt. Schon gingen die Flaschen zur Neige, die Kerzen waren tief herabgebrannt, auch der Nachtwächter verkündigte schon die elfte Stunde. Aber die Gäste des Pfarrherrn zogen es vor, sitzen zu bleiben. Da winkte dieser seiner Magd und meinte, da nun der Wein ausgetrunken, so sollte sie ihr Glück einmal oben auf dem alten Schlosse versuchen, dort zechten die Geister allnächtlich und die könnten ihm wohl einige Flaschen aus ihrem Keller zukommen lassen. Die Magd sah ihren Herrn betroffen an, der aber wiederholte ernstlich sein Zumuthen, sie sollte nach Wallenroden hinauf. Also faßte die treue Dienerin einen festen Entschluß und machte sich auf den Weg. Als sie dem Schlosse sich näherte, riß ein Wirbelwind das Thor vor ihr auf. Wankenden Schrittes ging sie hinein und kam in einen weiten Saal, da saßen wirklich die abgelebten Ritter im Kreise bei einem Gastmahl zusammen. Sie waren von aschgrauem Aussehen und hatten Todtenschädel zu Pokalen. Als die Magd eintrat, erhob sich einer der finstern Männer von seinem Sitze und fragte die Zitternde, was ihr Begehren, worauf diese mit bebenden Lippen ihren Auftrag vollbrachte. Darauf nahm der Ritter einen Krug, füllte ihn und gab ihn der Magd mit den Worten: »Deiner Einfalt sei verziehen, die Schuld haftet auf deinem Herrn. Aber laß dich niemals wieder hier sehen, so dir dein Leib und Leben theuer ist.« Leichenblaß[118] griff die Magd nach dem Kruge und eilte damit, so schnell sie konnte, durch das offene Schloßthor hinaus in die finstre Nacht. Im Pfarrhause angelangt, setzte sie den Krug auf den Tisch und erklärte mit kurzen Worten, daß sie diesmal, aber zum letzten Mal dem Gebote ihres Herrn getreu auf das alte Schloß gegangen sei. Die Gäste aber spotteten über solche Kunde und schlürften mit Behagen den vortrefflichen Geisterwein. Plötzlich entstand ein wildes Brausen, der Sturm heulte fürchterlich und Blitze auf Blitze durchzuckten den Saal. Unter Zittern und Beben waren die Gäste einer nach dem andern verschwunden. Als aber der nächste Morgen tagte, fand man den Herrn des Hauses todt.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 118-119.
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