1109. Der Spitzleinstag.

[147] G.A.Will S. 286.


Ein Seitenstück vom Niklaustage war der Spitzleinstag, welcher sich auch bis auf die neuere Zeit erhalten hat. Nach uralter Sitte versammelten sich früh Morgens am Allerheiligenfeste die Gassenjungen, zu welchen sich auch ehrbarer Leute Kinder, sogar Mädchen gesellten, liefen in hellen Haufen durch die ganze Stadt und stellten sich gruppweise vor die Häuser, mit dem unbändigsten Geschrei: »Guten Morgen um ein Spitzlein!« Sie hielten mit diesem Rufe so lange an, bis man sich den Lärmen durch eine Gabe vom Leibe schaffte. Dieses geschah durch Auswerfen eines für diesen Tag besonders gebackenen und von seiner Gestalt also genannten weißen Pfennigbrodes, das Spitzlein. Als im Jahre 1685 der Professor Dr. Felix Spitz von Jena nach Altdorf kam, erschienen auch vor seinem Hause am Allerheiligentage die Knaben mit ihrem Geschrei. Doktor Spitz,[147] der von dem Unfug Nichts wußte, gerieth auf den Gedanken, daß das Spitzleinsgeschrei ihm, als einem kleinen Manne, zum Hohn und Schimpfe gereichen sollte, wollte daher auf's Aeußerste erzürnt sogleich wieder einpacken und Altdorf verlassen, und konnte nur mit vieler Mühe belehrt und besänftiget werden. Gleichwohl dauerte diese Sitte bis zum Jahr 1788.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 147-148.
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