1211. Die drei Raben.

[225] Mündlich.


Vor mehr als fünfzig Jahren ist zu München ein Advokat am Schlagfluß gestorben, der war sein Leben lang ein arger Rabulist und[225] Beutelschneider gewesen und hatte sich kein Gewissen gemacht, Wittwen und Waisen um ihr gutes Recht zu bringen, wenn er dafür bezahlt wurde. Nun wenn so Einer stirbt, flüstern sich die Leute allerhand in die Ohren, bei diesem aber hat sich noch etwas ganz Absonderes zugetragen. Als er todt war und die Seelnonne den Leichnam hergerichtet, zwei Lichtlein angezündet und ein Krucifix dazwischen gestellt hat, gingen die Leute, wie's der Brauch ist, aus und ein, den Todten anzuschauen. Geweint hat aber Niemand. Vor dem Hause waren Viele versammelt, murmelten dies und das und Gott wolle seiner armen Seele gnädig sein. Siehe da! auf einmal rauscht Etwas durch die Luft, fliegen zwei großmächtige Raben an's Fenster und hacken so lange mit ihren Schnäbeln drauf los, bis die Scherben klirren und – zum Erstaunen des Volkes – noch ein schwarzer Vogel aus dem Zimmer herausfliegt. Während die Menge auseinanderstob, flogen die drei Raben davon. Im Todtenzimmer waren plötzlich die Lichter verlöscht und das Kruzifix umgestürzt. Gleich darauf soll auch der Leichnam über und über schwarz geworden sein.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 225-226.
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