Terracina

[307] Die siehst, daß ich aus den Sümpfen heraus bin. Die Prophezeiung meiner Freunde in Rom ist eingetroffen. Der Herr Haushofmeister in dem Palaste Strozzi, dem heiligen Franz mit den Stigmen gegenüber, überließ es meiner Großmut, die seinige zu belohnen. Das heißt nun, die Leute meistens am unrechten Flecke angefaßt. Ich griff mich indessen an, soviel ich konnte, und gab für drei Tage Wohnung und drei Mahlzeiten – die übrigen hatte ich auswärts gehalten – zwei Kaiserdukaten, welches ich für ziemlich honett hielt. Der Mann machte in Rom ein flämisches Gesicht, aber doch weiter keine Bemerkung, sondern begleitete mich noch[307] gefällig bis Sankt Johann von Lateran, wo er mir am Tore seine Adresse gab, damit ich ihn bei meiner Rückkehr finden möchte. Er mochte doch die Rechnung gezogen und überlegt haben, daß einen ganzen Monat verhältnismäßig das Geldchen noch mitzunehmen wäre. Das war nun aber mir nicht gelegen, meine Börse wollte sich in die Länge nicht so großmütig behandeln lassen. Man hat der Ausgaben mehrere. Ich ging nun durch die weitläufigen, halb verfallenen Gärten der Stadt und durch die ganze wüste Gegend vor derselben nach Albano hinüber.

Einige Millien vor der Stadt wandelte links unter den Ruinen der alten Wasserleitung, die vom Berge herabkamen, ein Mann mit einem Buch einsam hin, suchte sich rund umher zu orientieren und schloß sich, als ich näher kam, an mich an. Es war ein Franzose, der sich in Velletri schon lange häuslich niedergelassen hatte, in der Stadt gewesen war und jetzt heimging. Seine Gesellschaft war mir hier höchst angenehm, da er mit der Geschichte der Zeit und den Vorfällen des Kriegs bekannt war und rund umher mir alle Auftritte erklärte. Links hinauf nach den Hügeln des Albanerbergs hatten sich die Franzosen und Insurgenten hartnäckig geschlagen. Die Insurgenten hatten zuerst einigen Vorteil und hatten deswegen nach der Weise der Revolutionäre angefangen, höchst grausam zu verfahren, aber die Franzosen trieben sie mit ihrer gewöhnlichen Energie bald in die Enge, und nun fehlte es wieder nicht an Gewalttätigkeiten aller Art. Einige Millien von Albano ist rechts am Wege eine Gegend, welche Schwefelquellen halten muß, denn der Geruch ist entsetzlich und muß in der heißen Sommerperiode kaum erträglich sein. In einer Peripherie von mehrern hundert Schritten keimt deswegen kein Gräschen, obgleich übrigens der Strich nicht unfruchtbar ist.[308]

Die Albaner bilden sich ein, daß ihre Stadt das alte Alba Longa sei, und sagen es noch bis jetzt auf Treu und Glauben jedem Fremden, der es hören will. Die Antiquare haben zwar gezeigt, daß das nicht sein könne, und daß die alte Stadt, laut der Geschichte, an der andern Seite des Sees am Fuße des Berges müsse gelegen haben, aber drei oder vier Millien, denken die Albaner, machen keinen großen Unterschied; und es ist wenigstens niemand in der Gegend, der ein näheres Recht auf Alba Longa hätte als sie. Wir wollen sie also in dem ruhigen Besitz lassen. Die jetzige Stadt scheint zur Zeit der ersten Cäsaren aus einigen Villen entstanden zu sein, von denen die des Pompejus die vorzüglichste war. Dadurch sieht es nun freilich um das Monument der Kuriatier mißlich aus, das auf dem Wege nach Aricia steht, und welches mir überhaupt ein ziemlich gotisches Ansehen hat. Nach der Geschichte sind alle, die drei Kuriatier wie die beiden Horatier, unten vor der Stadt Rom begraben, wo der Kampf geschah, und wo auch ihre Monumente standen; indessen läßt sich wohl denken, daß die neuen Albaner aus altem Patriotismus ihren braven Landsleuten hier ein neues Denkmal errichteten, als unten die alten verfallen waren. Wenigstens ist nicht einzusehen, wozu das Ding mit den drei Spitzen sonst sollte aufgeführt worden sein. Ein Kastell zur Verteidigung des Weges wäre das einzige, wozu man es machen könnte; aber dazu hat es nicht die Gestalt.

In Albano fand mein Franzose Bekannte, bei denen er einkehrte, und ich ließ mich auf die Post bringen, welche das beste Wirtshaus ist. Sobald ich abgelegt hatte, trat ein artiger, junger Mann zu mir ins Zimmer, der aus der Gegend war und mit vieler Gutmütigkeit mir die Unterhaltung machte. Mit ihm wandelte ich noch etwas in der schönen Gegend hin und her und[309] namentlich an das Monument, von dessen Altertum er indessen auch nicht sonderlich überzeugt war. Antiquitäten schienen zwar seine Sache nicht zu sein; aber dafür war er desto bekannter mit der neuen Welt. Er sprach Französisch und Englisch mit vieler Geläufigkeit, weil er in beiden Ländern einige Zeit gewesen war, eine nicht gewöhnliche Erscheinung unter den Italienern! »Je m'appelle Prince«, sagte er, »mais je ne le suis pas«. Indessen hatten ihn die Franzosen nach seiner Angabe prinzlich genug behandelt, alle seine Ölbäume umgehauen und ihm auf lange Zeit einen jährlichen Verlust von zweitausend Piastern verursacht. Die Wahrheit davon lasse ich auf seiner Erzählung beruhen. Der junge Mann zeigte viel Offenheit, Gewandtheit und Humanität in seinem Charakter. Sodann führte er mich einige hundert Schritte weiter zu einer alten Eiche an dem Wege nach Aricia, nicht weit von dem Eingange in den Park und die Gärten des Fürsten Chigi. Die Eiche sollte von seltener Schönheit sein, und sie ist auch wirklich sehr ansehnlich und malerisch, aber wir haben bei uns in Deutschland an vielen Orten größere und schönere.

Den Herren Fürsten Chigi kannte ich aus Charakteristiken von Rom und hätte wohl Lust gehabt, seine Besitzungen näher zu besehen. Er selbst ist als Dichter und Deklamator in der Stadt bekannt und soll wirklich unter diesen beiden Rubriken viel Verdienst haben. Er muß indes ein sonderbarer Bukoliker und Idyllendichter sein, denn in seinem Park hat er den schönsten und herrlichsten Eichenhain niederhauen lassen, und in dem Überreste läßt er die Schweine so wild herumlaufen, als ob er sich ganz allein von ihrer Mastung nähren wolle. Darüber sind nun besonders die Maler und Zeichner so entrüstet, daß sie den Mann förmlich in Verdammnis gesetzt haben, und ich[310] weiß nicht, wie er sich daraus erlösen will. Die Gegend ist dessen ungeachtet noch eine der schönsten in Italien, und das romantische Gemisch von Wildheit und Kultur, die hier zu kämpfen scheinen, macht, wenn man aus der Öde Roms kommt, einen sonderbaren, wohltätigen Eindruck. Die Leute in dieser Gegend haben den Ruhm, vorzüglich gute Banditen zu sein.

Von Albano ging ich den andern Morgen über eben dieses Aricia, dessen Horaz in seiner Reiseepistel von Rom nach Brindisi gedenkt, nach Gensano und Velletri und immer in die Pontinen hinein. Die Leute von Gensano sind mir als die fleißigsten und sittigsten im ganzen Kirchenstaate vorgekommen, und sie haben wirklich ihre Fleckchen Land so gut bearbeitet, daß sie den Wohltaten der Natur Ehre machen. Die Lage ist sehr schön; Berge und Täler liegen in dem lieblichsten Gemische rund umher, und der kleine See von Nemi, unter dem Namen der Dianenspiegel, gibt der Gegend noch das Interesse der mythologischen Geschichte.

Vor Velletri holte mich ein Franzose ein; nicht mein gestriger, sondern ein anderer, der bei der Condeischen Armee den Krieg mitgemacht hatte, jetzt von Rom kam und mit Empfehlungen von dem alten General Suworow nach Neapel zu Akton ging, von dem er Anstellung hoffte. In zwei Minuten waren wir bekannt und musterten die Armeen durch ganz Europa. Nach seinen Briefen mußte er ein sehr braver Offizier gewesen sein, der selbst bei Perugia ein Detachement kommandierte, und ich habe ihn als einen ehrlichen Mann kennenlernen. Wir aßen zusammen in Velletri und schlenderten sodann ganz vergnügt die Berge hinab in die Sümpfe hinein, die einige Stunden hinter der Stadt ihren Anfang nehmen. In Zisterne wollten wir übernachten, aber das Wirtshaus hatte die schlechteste[311] Miene von der Welt, und die päpstlichen Dragoner trieben ein gewaltig lärmendes Wesen. Übrigens fiel mir ein, daß dieses vermutlich der Ort war, wo Horaz so sehr von den Flöhen gebissen wurde und noch andere traurige Abenteuer hatte, daß auch der Apostel Paulus hier geschlafen haben soll, ehe man ihn nach Rom in die Kerker des Kapitols einsperrte. Das war nun lauter böses Omen. Wir beschlossen also, zumal da es noch hoch am Tage war, noch eine Station weiter zu wandeln, bis Torre di tre ponti. Hier kamen wir aus dem Regen in die Traufe. Es war ein großes, leeres Haus; der Wirt war nach Paris gereist, um, wenn es möglich wäre, seine Habe wiederzuerhalten, die man ihm in die Wette geraubt hatte. Erst plünderten die Neapolitaner, dann die Franzosen, dann wieder die Neapolitaner und die Streiter des heiligen Vaters zur Gesellschaft, das ist nun so römische Wirtschaft. Es war im ganzen Hause kein Bett, und die Leute sahen nicht außerordentlich freundlich aus. Der Wirt war abwesend; es waren viele Fremde da, die in den pontinischen Sümpfen, wohin sogar der Auswurf aus Rom flüchtet, kein großes Zutrauen einflößen können. Die alte, gutmütige Haushälterin gab uns indessen eine große Decke; wir verrammelten unsere Türe mit Tisch und Stühlen, damit man wenigstens nicht ohne Lärm hineinkommen könnte, legten uns beide, der französische Oberstleutnant und ich, in die breite, mit Heu gefüllte Bettstelle, stellten unsere Stöcke daneben, deckten uns zu und schliefen, so gut uns die Kälte, die Flöhe und die quakenden Frösche schlafen ließen. Den Morgen darauf war das Wetter fürchterlich und machte den nicht angenehmen Weg noch verdrießlicher; vorzüglich fluchte der Franzose nach altem Stil tous les diables mit allem Nachdrucke durch alle Instanzen, die Yorick gegeben hat. Es konnte indessen[312] nichts helfen; ich Hyperboreer zog bärenmäßig immer weiter, der Franzmann aber versteckte sich in ein altes, leeres Brückenhaus über dem Kanal und wollte den Sturm vorbeigehen lassen. Wenn man naß ist, muß man laufen, ich ließ ihn ruhen und versprach, hier in Terracina im Gasthofe auf ihn zu warten.

Die letzte Station vor Terracina war für mich die abenteuerlichste. Die alte appische Straße geht links etwas oben an den Bergen hin und macht dadurch einen ziemlichen Umweg; aber die Neuen wollten dem Elemente zum Trotz klüger sein und zogen sie unüberlegt genug geradefort. Sie sieht recht schön aus, wenn sie nur gut wäre. Das Wasser war groß; ich hatte den Abweg links über eine alte Brücke nicht gemerkt und ging die große gerade Linie immer weiter. In einer halben Stunde stand ich vor Wasser, das rechts aus der See hineingetreten war und links durch die Gebüsche weit hinaufging. Durch den ersten Absatz schritt ich rasch, aber es kam ein zweiter und ein dritter noch größerer. Es war dabei ein furchtbarer Regensturm, und ich konnte nicht die zwanzig Schritte sehen. Ich ging fast eine Viertelstunde auf der Straße bis über dem Gürtel im Wasser und wußte nicht, was vor mir sein würde. Einige Male waren leere Plätze links und rechts, und da stand ich in den Einschnitten wie im Meere. Nur die Bäume, die ich dunkel durch den Regensturm sah, machten mir Mut vorwärts. Endlich war ich glücklich durch die päpstliche Stelle und zog eine parallele zwischen den Alten und Neuen, die eben nicht zum Vorteile meiner Zeitgenossen ausfiel. Wie ich heraus war, ward der Himmel hell, und ich sah den Berg der göttlichen Circe in der Abendsonne zu meiner Rechten und zu meiner Linken die Felsen von Terracina glänzen. Es war wirklich, als wenn die alte Generalhexe eben einen Hauptprozeß machte, und[313] ich konnte froh sein, daß ich noch so gut mit einem bißchen Schmutz davongekommen war. Nachdem ich in der Locanda Reale, einem großen, stattlichen Hause an dem Heerwege vor der Stadt, Quartier gemacht hatte, rekognoszierte ich oben den Ort auf dem weißen Felsen, wie ihn Horaz nennt, wo man rechts und links von dem Circeischen Vorgebirge bis an das Kajetanische und über die Inseln eine herrliche Aussicht hat. Ich bekümmerte mich wenig um die Ruinen des alten Jupitertempels und um den neuen Palast des Papstes, sondern weidete mich an der unter mir liegenden Gegend, den herrlichen Orangegärten, die ich hier zuerst ganz im Freien ausgezeichnet schön fand, und der üppigen Vegetation aller Art. Auch mehrere Palmbäume fand ich hier schön, da in Rom nur ein einziger als eine Seltenheit nicht weit vom Kolosseum gezeigt wird. Von der letzten Station führt eine herrliche Allee der schönsten und größten Aprikosenbäume in die Stadt.

Mein Franzose kam, und es fand sich, daß der arme Teufel mit seiner Börse auf den Hefen war. Ich mußte ihn also doch nach Neapel hinübertransportieren helfen. Zu Abend traf ich im Wirtshause ein paar ziemlich reiche Mailänder, die mit schöner Equipage von Neapel kamen, und wir aßen zusammen. Die Herren waren ganz verblüfft zu hören, daß ich von Leipzig nach Agrigent tornistern wollte, bloß um an dem südlichen Ufer Siziliens etwas herumzuschlendern und etwa junge Mandeln und ganz frische Apfelsinen dort zu essen. Die Unterhaltung war sehr lebhaft und angenehm, und die Norditaliener schienen die schöne Neapel quovis modo, literarisch, ästhetisch und physisch, genossen zu haben. Morgen gehts ins Reich hinüber; denn so nennt man hier das Neapolitanische.[314]

Quelle:
Johann Gottfried Seume: Prosaschriften. Köln 1962, S. 307-315.
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