Palermo

[432] Hier bin ich nun wieder von der Runde zurück. Der letzte Zug von Messina hierher war der beschwerlichste, aber er hat auch viel Belohnendes. Die Berge waren mir gar fürchterlich beschrieben worden; ich mietete mir also einen Maulesel mit seinem Führer und setzte ruhig aus. Beschäftigt mit den alten Messeniern, der eisernen Tyrannei der Spartaner, der mutigen[432] Flucht der braven Männer nach Zankle und allen ihren Schicksalen, Unglücksfällen, Ausartungen und Erholungen, die Seele voll von diesen Gedanken, stieg ich neben meinem Maulesel den Berg hinauf und blieb oft stehen, einen Rückblick auf zwei so schöne Länder zugleich zu nehmen. Melazzo auf einer weitausgehenden Landzunge macht von fern einen hübschen Anblick, und das Land umher scheint nicht übel gebaut zu sein. Auch diese Gegend hat viel im letzten Erdbeben gelitten. Unten am Pelor sah ich zum erstenmal wieder grüne vaterländische Eichen, und die Nachtigallen schlugen wetteifernd aus den Schluchten. Mir war auf einmal so heimisch wohl dabei, daß ich hier hätte bleiben mögen. Es geht doch nichts über einen deutschen Eichenwald. Bei Barcelona, wie man mir den Ort nannte, sah ich das schönste Tal in ganz Sizilien, und andere sind, deucht mir, schon vor mir dieser Meinung gewesen. Es ist ein reizendes Gemisch von Früchten aller Art, Orangen und Öl, Feigen und Wein, Bohnen und Weizen; und die ausschließenden Berge sind nicht zu hoch und zu rauh, sondern ihre Gipfel sind noch alle mit schöner Waldung bekrönt. In Patti war kein Pferdestall zu finden, wir ritten also von einem Orte zum andern immer weiter hin bis Mitternacht. Patti dankt, deucht mir, seinen Ursprung oder wenigstens seinen Namen einem dort geschlossenen Vergleiche in den Punischen Kriegen. Den Ort meines Nachtlagers habe ich vergessen, aber die Art nicht. Die See war furchtbar stürmisch, und es hatte entsetzlich geregnet. Mit vieler Mühe konnten wir noch einige Fische und Eier erhalten. Es hatten sich zwei Fremde zu mir gesellt, die auch von Messina kamen und ins Land ritten. Wein war genug da, aber kein Brot. Man gab mir aus Höflichkeit die beste Schlafstelle; diese war auf einem[433] steinernen Absatze neben der Krippe; die andern Herren legten sich unten zu den Schweinen. Mein Mauleseltreiber trug zärtliche Sorge für mich und gab mir seine Kapuze; und man begriff überhaupt nicht, wie ich es habe wagen können, ohne Kapuze zu reisen. Diese sonderbare Art von schwarzbraunem Mantel mit der spitzigen Kopfdecke ist in ganz Italien und vorzüglich in Sizilien ein Hauptkleidungsstück. Ich hatte ganz Geschmack daran gewonnen, und wenn ich von dieser Nacht urteilen soll, so habe ich Talent zum Kapuziner; denn ich schlief sehr gut. Den ersten Tag machten wir fünfzig Millien.

In Sankt Agatha, einem Kloster von einer sehr angenehmen Lage, wollten wir die zweite Nacht bleiben; und dort scheint kein übles Wirtshaus zu sein; aber es war noch zu früh, und wir ritten mehrere Millien weiter bis Aque Dolci, wo der schöne Name das beste war wie vor Agrigent in Fontana Fredda. Hier waren Leute wie die sikanischen Urbewohner der Insel, groß und stark und rauh und furchtbar; und hier, glaube ich, war ich mit meiner Ketzerei wirklich in einer etwas unangenehmen Lage. Ein Stück von Geistlichkeit hatte Lunte gerochen und nahm mich sehr in Anspruch, und ich hielt ihn mir nur durch Latein vom Halse, vor dem er sich zu fürchten schien. Anderwärts war der Bekehrungseifer gutmütig und wohlwollend sanft, hier hatte er etwas zyklopisches. Nicht weit von dem Ort ist oben in dem Felsen eine Höhle, die man mir sehr rühmte, und in die man mich mit Gewalt führen wollte. Es war aber zu spät und ich hatte auch nicht recht Lust, mit solchen Physiognomien allein in den polyphemischen Felsenhöhlen herumzukriechen. Ich war hier nicht in Adlersberg. Hier mußte ich für ein Bett sechs Karlin bezahlen, und als ich bemerkte, daß ich für Bett und Zimmer zusammen in Palermo nur[434] drei bezahlte, sagte mir der Riese von Wirt ganz skoptisch: »Freilich; aber dafür sind Sie eben jetzt nicht in Palermo und bekommen doch ein Bett.« Der Grund war in Sizilien so unrecht nicht.

Wir hatten schon, wie mir mein Führer sagte, mit Gefahr einige Flüsse durchgesetzt. Nun kamen wir an einen, den sie Santa Marit nannten. Es mußte oben flutend geregnet haben, denn die Waldströme waren fürchterlich angeschwollen. Dieses macht oft den Weg gefährlich, da keine Brücken sind. Einer der Zyklopen, den man füglich für einen Polyphem hätte nehmen können – so riesenhaft war er selbst und so groß und zackig der wilde Stamm, den er als Stock führte – machte die Gefahr noch größer. Die Gesellschaft hatte sich gesammelt, keiner wollte es wagen, zu reiten. Meinem Führer war für sich und noch mehr für seinen Maulesel bange. Es war nichts. Die Insulaner sind an große Flüsse nicht gewöhnt. Man machte viele Kreuze und betete Stoßgebetchen zu allen Heiligen, ehe man den Maulesel einen Fuß ins Wasser setzen ließ, und dankte dann vorzüglich der heiligen Maria für die Errettung. An einem solchen Strome, wo ich allein war, wollte mein Führer, ein Knaben von fünfzehn Jahren, durchaus umkehren und liegen bleiben, bis das Wasser von den Bergen abgelaufen wäre. Das hätte mich Piaster gekostet und stand mir nicht an. Ich erklärte ihm also rein heraus, ich würde reiten, er möchte machen was er wollte. In der Angst für sein Tier und seine Seele schloß er sich auf der Kruppe fest an mich an, zitterte und betete, und ich leitete und schlug und spornte den Maulesel glücklich hinüber. »Da haben uns die lieben Heiligen gerettet«, sagte er, als er am andern Ufer wieder Luft schöpfte. »Und mein Stock und der Maulesel«, sagte ich. Der Bursche kreuzigte sich dreimal über meine Gottlosigkeit, faßte aber doch[435] in Zukunft etwas mehr Mut zu dem meinigen. Sodann blieben wir in einem einzigen isolierten Hause vor einem Orte, dessen Namen ich auch wieder vergessen habe. Ich hätte gelehrter sein sollen oder beständig einen Nomenklator bei mir haben. Das Donnerwetter hatte mich diesen und den vorigen Tag verfolgt, und es schneite und graupelte bis über einen Fuß hoch. Die Waldströme waren wirklich sehr hinderlich und zuweilen vielleicht gar gefährlich für Leute, die nicht an das Element gewöhnt sind und nicht Mut haben. Einmal verdankte ich aber dem großen Wasser eine schöne Szene. Der Fluß war, nach der Meinung meines Begleiters, unten durchaus nicht zu passieren, und er ritt mit mir immer an demselben hinauf, wo er eine Brücke wußte. Der Weg war zwar lang, und ich ward etwas ungeduldig; aber ich kam in ein Tal, das einen so schönen großen Orangenwald hielt, wie ich ihn auf der ganzen Insel noch nicht gesehen hatte. Des Menschen Leidenschaft ist nun einmal seine Leidenschaft. Für einige Kreuzer konnte mein Magen überall haben, soviel er nur fassen konnte; aber meine Augen wollten noch zehren, und diese brauchten mehr zu Sättigung und ließen dann gern alles hängen und liegen.

Endlich kamen wir in Cefalu an. Für große Schiffe ist hier wohl kein Hafen zum Aufenthalt. Der Ort hat vermutlich den Namen vom Berge, der einer der sonderbarsten ist. Wir hatten bisher die liparischen Inseln immer rechts gehabt, nun verschwanden sie nach und nach. Von Messina bis Cefalu ist es sehr wild; von hier an fängt die Kultur wieder an etwas besser zu werden. Es kommen nun viele Reisfelder. Bei Cefalu sah ich eine schöne, lange, hohe, herrliche Rosenhecke, deren erste Knospen eben zahlreich üppig aufbrachen. Diese Probe zeigte, was man hier schaffen könnte. Ich hätte dem Pfleger die Hände küssen mögen;[436] es waren die ersten, die ich in ganz Unteritalien und Sizilien sah. Die Leute sind schändliche Verräter an der schönen Natur.

In Termini erholte ich mich; hier findet man wieder etwas Menschlichkeit und Bequemlichkeit. Meine Wirtin war eine alte freundliche Frau, die alles mögliche tat, mich zufriedenzustellen, welches bei mir sehr leicht ist. Sie examinierte mich teilnehmend über alles, nur nicht über meine Religion, ein seltener Fall in Sizilien, stellte mir vor, was meine Mutter jetzt meinetwegen für Unruhe haben müßte, und riet mir ernstlich, nach Hause zu eilen; sie hätte auch einen Sohn auf dem festen Lande, den sie zurückerwartete. Wenn ihre Teilnahme und Pflege auch sehr mütterlich war, so war indessen doch ihre Rechnung etwas stiefmütterlich.

Als ich in einer melancholisch ruhigen Stimmung über Vergangenheit und Gegenwart hing und mit meinem Mäoniden in der Hand aus dem Garten auf den Himerafluß hinabschaute, ward unwillkürlich eine Elegie in meiner Seele lebendig. Es war mir, als ob ich die Göttin der Insel mit noch mehr Schmerz als über ihre geliebte Tochter am Anapus klagen hörte, und ich gebe Dir ohne weitere Bemerkung, was aus ihrer Seele in die meinige herüberhallte.


Trauer der Ceres

Meine Wiege, wie bist Du verödet, Du liebliches Eiland,

Ach wie bist Du verödet, Du herrlicher Garten der Erde,

Wo die Götter der Sterblichen einst den Olympus vergaßen!

Zeus Kronion, Du Retter, o rette Trinakriens Schöne,[437]

Daß sie nicht endlich ganz mit der letzten Trümmer vergehe!

Glühend rinnt mir die Träne, wie sie Unsterblichen rinnet,

Rinnt mir schmerzlich die Träne vom Aug' beim Jammer des Anblicks.

Wo, wo sind sie, die Kinder, die fröhlichen, seligen Kinder

Meiner Liebe, die einst mit Tetrippen die Wege befuhren,

Wo jetzt kaum ein ärmlicher Bastard des Langohrs hinzieht?

Ach wo find ich die Männer von Akragas, von Syrakusä,

Von Selinunt, die stolzen Söhne der stolzeren Väter,

Welche die hohe Karthago bedrohten mit Macht und mit Reichtum

Und die höhere Rom? Wo find' ich die Reihen der Jungfraun,

Die die heiligen Züge mir führten in bräutlichem Glanze,

Daß die Olympier selbst mit Scheelsucht neidisch herabsahn?

Scharen von Glücklichen drängten sich einst aus marmornen Toren

Durch die schattigen Haine der Götter, zu Traubengebirgen,

Durch die reichen Gefilde, die ich bedeckte mit Garben.

Eherne Krieger zogen zum Streit, dem Stolze des Fremdlings

Furcht und Verderben; es hallte von Felsen zu Felsen das Schlachtwort,[438]

Für die Sache der Freiheit und für des Vaterlands Sache.

Leben und Freude atmeten hoch vom Ätna zum Eryx,

Vom Simäthus, dem Herdenernährer, zum fetten Anapus.

Zeus Kronion, wenn ich mit Stolz die Gesegneten sahe,

War ich die reichste Mutter und fühlte doppelt die Gottheit.

Ach wie bist Du gefallen, mein Liebling, wie bist Du gefallen

Tief in Jammer und Armut, Zerstörung und furchtbares Elend!

Deine Städte, mein Stolz, sie liegen in Trümmern am Meere,

Ihre Tempel verwüstet und ihre Odeen zerstöret,

Ihre Mauern verschüttet und ihre Wege verschwunden

Im Gefühl des unendlichen Werts des Menschengeschlechtes

Schritten erhabene Söhne der götterbefreundeten Hellas

Mächtig durch die Gebirge und schufen den Felsen zum Tanzsaal

Gegenüber des Ätna ewigen Feuerhaupte.

Jetzt durchwandelt die Tale der Jammer des bettelnden Volkes.

Einsam, scheu, mit Hunger im bleichen, gesunkenen Auge,

Nur mit schmutzigen Lumpen die zitternde Blöße behangen;

Und im Antlitz furcht noch die Wut des heiligen Unsinns.[439]

Hymnen ertöneten einst den Göttern in glücklichen Chören

Durch die Städte der Insel; melodisch pflügte der Landmann,

Schnitt der Winzer und zog die Netze der freundliche Fischer.

Finster lauscht jetzt Mißtraun tief in den Furchen der Stirne;

Stumm und einsam schleicht es daher, und, tönet die Seele

Unwillkürlich Gesang, so klingt er wie Ängste des Todes.

Gastlich empfingen den Fremdling einst Siziliens Küsten,

Und er wandelte froh wie in den Fluren der Heimat;

Wildnis starret nunmehr dem kühnen Pilger entgegen,

Und mit der Miene der Mordlust ziehen die Räuber am Ufer.

Wie einst vor den unwirtlichen Zeiten der alten Zyklopen

Trägt das Land den Anblick der wildesten Höhlenbewohner,

Als besäß es noch nicht mein herrliches Ährengebinde,

Nicht den friedlichen Ölbaum, nicht die erfreuliche Traube,

Und noch nicht der Hesperiden goldene Früchte.

Zeus Kronion, Du Retter, o rette Trinakriens Schöne,

Daß sie nicht endlich ganz mit der letzten Trümmer vergehe![440]


Von Termini aus kann der König wieder fahren. Indessen hätte der Minister, der den Weg gebaut hat, ihn mit weniger Kosten vermutlich besser und dauerhafter machen können. Die Wasserleitung ist nicht sonderlich beachtet. In der Bagaria sah ich von außen noch einige sublime Grotesken des sublim grotesken Fürsten von Palagonia, die nun nach seinem Tode nach und nach alle weggeschafft werden. Ich hatte weder Zeit noch Lust, das innere Heiligtum der Ungeheuer zu sehen. Wenn indessen seine drollige Durchlaucht nur etwas zur Verschönerung der Gegend umher beigetragen hat, so will ich ihm die Mißhandlung der Mythologie, der ich übrigens selbst nicht außerordentlich hold bin, sehr gern verzeihen. Die ganze Gegend um die Stadt, vorzüglich nach Palermo hin, ist die bebauteste und ordentlichste, die man in Sizilien sehen kann, wenn es gleich keine der schönsten und reichsten ist.

Mir ward es wirklich recht wohl, als ich wieder in die Nachbarschaft von Palermo kam, wo ich mich nun schon als etwas heimisch betrachtete. Mein Einzug in die Residenz war, als ob ich ihn noch bei dem hochseligen Fürsten von Palagonia bestellt hätte. Es holte uns eine Sänfte irgendeines Bischofs ein, vermutlich des Bischofs von Cefalu. Sie war sehr charakteristisch überall mit Schellen behangen und wurde, nach der Gewohnheit des Landes, von zweien der stärksten Maulesel getragen, die von einigen reitenden Bedienten geführt wurden. Die Sänfte war ziemlich geräumig und mochte bequem Platz haben für den Bischof und seine Nichte; denn ich habe es in Sizilien durchaus gemerkt, daß die vornehmen Geistlichen viel auf Nichten halten. Ein alter, dicker, satirischer Eseltreiber setzte sich gravitätisch hinein und fing an, barock daraus zu diakonieren und mit großen Grimassen[441] den Segen zu spenden. Die Schellen klangen, er nickte und machte ein Bocksgesicht, und die Karawane lachte über die Posse, bis die Nähe der Stadt der Profanation ein Ende machte. Nun zog die ganze originelle Kavalkade hinter mir mit Schellengeläute in Palermo zum Seetor ein. In Leipzig hätte ich damit ein Schauspiel für ein Quartier der Stadt machen können, in Palermo lachten bloß zwei Visitatoren.

Quelle:
Johann Gottfried Seume: Prosaschriften. Köln 1962, S. 432-442.
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