Zweite Szene

[27] Platz vor dem Hause.


Es treten auf Luciana und Antipholus von Syrakus.


LUCIANA.

Vergaßest du in wenig Augenblicken

Des Gatten Pflicht? Und soll durch Mißverstand

Der Liebe Blüt' im Liebeslenz ersticken?

Der Bau zerfallen, der so schön erstand?

Hast du die Schwester um ihr Gold gefreit,

So heuchle ihr, dem Gold zu Liebe, Feuer;

Und glühst du sonst wo, tu's in Heimlichkeit;

Dein falsches Lieben hüll' in dunkle Schleier:

Die Schwester lese nicht in deinen Blicken,

Noch laß den Mund die eigne Schmach verkünden,

Daß Huld und Anmut deine Untreu' schmücken,

Kleid' als der Tugend Boten schnöde Sünden;

Verstellung berg' ihr deines Lasters Flecken

Und leihe dir der Heiligen Betragen;

Sei heimlich falsch; was mußt du's ihr entdecken?

Wird töricht wohl ein Dieb sich selbst verklagen?

Willst du sie zwiefach kränken, Unbeständ'ger,

An ihrem Tisch gestehn des Betts Verrat?

Schmach hat noch Scheinruhm, übt sie ein Verständ'ger,

Und böses Wort verdoppelt böse Tat.

Wir armen Frau'n! Gönnt uns doch nur den Glauben

(Wir sind ja ganz Vertraun), daß ihr uns huldigt;

Den Handschuh laßt, wollt ihr die Hand uns rauben;

Ihr wißt, wie gern ein liebend Herz entschuldigt.

Drum, lieber Bruder, geht zu ihr hinein,

Liebkost der Schwester, sprecht ihr freundlich zu:[27]

's ist heil'ger Trug, ein wenig falsch zu sein,

Bringt süßes Schmeichelwort den Geist zur Ruh'.

ANTIPHOLUS VON SYRAKUS.

Holdselig Kind, dein Nam' ist unbekannt mir,

Noch ahn' ich, wer dir meinen je genannt;

Du scheinst des Himmels Heiligen verwandt mir,

An Gnad' und Reiz, an Schönheit und Verstand.

Lehr' mich, Geliebte, prüfen, denken, sprechen;

Entfalte meinen irdisch groben Sinnen:

Wie mag ich, wahnumstrickt, betört von Schwächen,

Den Inhalt deines dunkeln Worts gewinnen?

Was strebst du, meine Seele zu entraffen,

Und lockst sie in ein unbekannt Gefild?

Bist du ein Gott? Willst du mich neu erschaffen?

Verwandle mich: dir folg' ich, schönes Bild! –

Doch, bin ich noch ich selbst, so zweifle nicht,

Nie war die eifersücht'ge Schwester mein; –

Nie weiht' ich ihrem Bette Schwur und Pflicht; –

Viel mehr, viel mehr ist meine Seele dein.

Laß ab, Sirene, mich mit süßen Liedern

In deiner Schwester Tränenflut zu locken;

Singst du für dich, wird trunkne Lieb' erwidern:

Breit' auf die Silberflut die goldnen Locken,

So holdem Lager will ich mich vertraun,

Und in der Täuschung des Entzückens wähnen:

Der triumphiert, der so den Tod mag schaun;

So sink' und sterbe Lieb' in sel'gem Sehnen! –

LUCIANA.

Wie sprecht Ihr fremd und allem Sinn entrückt!

ANTIPHOLUS VON SYRAKUS.

Fremd nur für jene, doch von dir entzückt! –

LUCIANA.

Die Sünd' entspringt in Euerm Aug' allein.

ANTIPHOLUS VON SYRAKUS.

Blind schaute sich's an deiner Sonne Schein.

LUCIANA.

Schaut, wo Ihr sollt: das macht die Augen klar!

ANTIPHOLUS VON SYRAKUS.

Nacht sehn und blind sein, Lieb', ist gleich, fürwahr!

LUCIANA.

Ich Euer Lieb? Das muß die Schwester sein!

ANTIPHOLUS VON SYRAKUS.

Der Schwester Schwester![28]

LUCIANA.

Meine Schwester!

ANTIPHOLUS VON SYRAKUS.

Nein!

Du bist es selbst, des Herzens bester Teil,

Aug' meines Aug's, der Seele Seelenheil,

Des Lebens Inhalt, Hoffnung, Glück und Wonne,

Mein irdisch Heil und meines Himmels Sonne!

LUCIANA.

Das sollt' Euch alles meine Schwester sein!

ANTIPHOLUS VON SYRAKUS.

Dich nenne Schwester, denn ich bin nur dein;

Dir weih' ich Lieb' und Leben, nimm mich an:

Ich habe noch kein Weib, du keinen Mann;

Gib mir die Hand!

LUCIANA.

Ich bitt' Euch, seid nur still;

Ich muß erst sehn, ob auch die Schwester will.


Ab.


Dromio von Syrakus kommt.


ANTIPHOLUS VON SYRAKUS. Heda, was gibt's, Dromio? Wohin rennst du so eilig?

DROMIO VON SYRAKUS. Kennt Ihr mich, Herr? Bin ich Dromio? Bin ich Euer Diener? Bin ich Ich?

ANTIPHOLUS VON SYRAKUS. Du bist Dromio, du bist mein Diener, du bist Du.

DROMIO VON SYRAKUS. Ich bin ein Esel, ich bin eines Weibes Diener, ich bin außer mir.

ANTIPHOLUS VON SYRAKUS. Welches Weibes Diener? und warum außer dir?

DROMIO VON SYRAKUS. Außer mir, mein' Seel'! denn ich gehöre einem Weibe an; einer, die mich in Anspruch nimmt, die mir nachläuft, die mich haben will!

ANTIPHOLUS VON SYRAKUS. Wie nimmt sie dich in Anspruch?

DROMIO VON SYRAKUS. Nun, mein' Seel', wie Ihr Euer Pferd in Anspruch nehmt: wie eine Bestie will sie mich haben; – ich meine nicht, als ob ich eine Bestie wäre und sie mich haben wollte; sondern daß sie, als eine recht bestialische Kreatur, mich in Anspruch nimmt.

ANTIPHOLUS VON SYRAKUS. Wer ist sie?

DROMIO VON SYRAKUS. Ein sehr respektables Korpus; so eine, von der man nicht reden kann, ohne hinzuzusetzen: »mit[29] Respekt zu melden«. Ich mache nur ein magres Glück bei der Partie, und doch ist's eine erstaunlich fette Heirat.

ANTIPHOLUS VON SYRAKUS. Wie meinst du das, eine fette Heirat?

DROMIO VON SYRAKUS. Mein' Seel, Herr, sie ist das Küchenmensch, und lauter Schmalz; ich wüßte nicht, wozu sie zu brauchen wäre, als eine Lampe aus ihr zu machen und bei ihrem eignen Licht vor ihr davon zu laufen. Ich wette, ihre Lumpen und der Talg darin brennen einen polnischen Winter durch; wenn sie bis zum Jüngsten Tag lebt, so brennt sie eine Woche länger als die ganze Welt.

ANTIPHOLUS VON SYRAKUS. Von welcher Farbe ist sie?

DROMIO VON SYRAKUS. Schwarz, wie meine Schuhe, aber ihr Gesicht ist lange nicht so rein; denn, warum? sie schwitzt, daß man bis über die Schuh' in den Schlamm zu waten käme.

ANTIPHOLUS VON SYRAKUS. Das ist ein Fehler, dem Wasser abhelfen wird.

DROMIO VON SYRAKUS. Nein, Herr, es ist zu echt; Noahs Flut würde nicht hinreichen.

ANTIPHOLUS VON SYRAKUS. Wie ist ihr Name?

DROMIO VON SYRAKUS. Nelle, Herr; aber ihr Name und Dreiviertel, das heißt 'ne Elle und Dreiviertel reichen nicht aus, sie von Hüfte zu Hüfte zu messen.

ANTIPHOLUS VON SYRAKUS. Sie ist also ziemlich breit?

DROMIO VON SYRAKUS. Nicht länger von Kopf zu Fuß, als von Hüfte zu Hüfte. Sie ist kugelförmig wie ein Globus; ich wollte Länder auf ihr entdecken.

ANTIPHOLUS VON SYRAKUS. Auf welchem Teile ihres Körpers liegt Schottland?

DROMIO VON SYRAKUS. Das fand ich aus an seiner Unfruchtbarkeit; recht auf der Fläche der Hand.

ANTIPHOLUS VON SYRAKUS. Wo Frankreich?

DROMIO VON SYRAKUS. Auf ihrer Stirn, bewaffnet und rebellisch und im Krieg gegen das Haupt.

ANTIPHOLUS VON SYRAKUS. Wo England?

DROMIO VON SYRAKUS. Ich suchte nach den Kalkfelsen, aber ich konnte nichts Weißes an ihr entdecken; doch denk' ich,[30] es liegt auf ihrem Kinn, wegen der salzigen Feuchtigkeit, die zwischen ihm und Frankreich fließt.

ANTIPHOLUS VON SYRAKUS. Wo Spanien?

DROMIO VON SYRAKUS. Wahrhaftig, das sah ich nicht, aber ich spürte es heiß in ihrem Atem.

ANTIPHOLUS VON SYRAKUS. Wo Amerika? die beiden Indien?

DROMIO VON SYRAKUS. O Herr, auf ihrer Nase, die über und über mit Rubinen, Saphiren und Karfunkeln staffiert ist und ihren reichen Glanz nach dem heißen Atem Spaniens wendet, welches ganze Armadas von Galeeren mit Ballast für ihre Nase bringt.

ANTIPHOLUS VON SYRAKUS. Wo liegen Belgien und die Niederlande?

DROMIO VON SYRAKUS. Oh, Herr, so tief habe ich nicht nachgesucht. – Kurz, diese Drude, dieser Alp, legte Beschlag auf mich, nannte mich Dromio, schwur, ich habe mich ihr verlobt, erzählte mir, was für geheime Zeichen ich an mir trage, als den Fleck auf meiner Schulter, das Mal an meinem Halse, die große Warze an meinem linken Arm, so daß ich vor Schrecken davon lief wie vor einer Hexe; und wahrhaftig, wäre nicht mein Herz aus Glauben geschmiedet und meine Brust von Stahl, sie hätte mich in einen Küchenhund verwandelt und den Bratspieß drehen lassen.

ANTIPHOLUS VON SYRAKUS.

Nun mach' dich auf und lauf zum Hafen schnell,

Und bläst vom Ufer irgend nur der Wind,

Weil' ich in dieser Stadt nicht über Nacht.

Geht heut ein Schiff noch ab, so komm zum Markt:

Da will ich dich erwarten, bis du heimkehrst. –

Wo jedermann uns kennt, und wir nicht einen,

Wär's Zeit wohl einzupacken, sollt' ich meinen.

DROMIO VON SYRAKUS.

Und wie der Wandrer vor dem Bären rennt,

Lauf' ich vor der, die meine Frau sich nennt.


Ab.

ANTIPHOLUS VON SYRAKUS.

Von lauter Hexen wird der Ort bewohnt,

Drum ist es hohe Zeit, davon zu gehn.

Die hier Gemahl mich nannte, schafft mir Grau'n,

Als Frau zu denken; doch die schöne Schwester,[31]

Begabt mit so viel holdem, mächt'gem Reiz,

So süßem Zauber in Gespräch und Umgang,

Macht fast mich zum Verräter an mir selbst. –

Doch, daß mich nicht verlocken diese Töne,

Schließ' ich mein Ohr der lieblichen Sirene.


Angelo tritt auf.


ANGELO.

Mein Herr Antipholus –

ANTIPHOLUS VON SYRAKUS.

Das ist mein Name!

ANGELO.

Nun ja, das weiß ich, Herr. Hier ist die Kette;

Ich dacht' im Stachelschwein Euch anzutreffen;

Die Kette war nicht fertig, darum säumt' ich.

ANTIPHOLUS VON SYRAKUS.

Was wollt Ihr, daß ich mit der Kette tu'?

ANGELO.

Was Euch gefällt! Ich machte sie für Euch.

ANTIPHOLUS VON SYKARUS.

Für mich, mein Herr? Ich hab' sie nicht bestellt!

ANGELO.

Nicht einmal oder zwei: wohl zwanzigmal!

Geht heim damit und bringt sie Eurer Frau,

Und nach dem Abendessen sprech' ich vor

Und hole mir das Geld für meine Kette.

ANTIPHOLUS VON SYRAKUS.

Ich bitt' Euch, Herr, empfangt das Geld sogleich,

Sonst möcht' Euch Kett' und Geld verloren gehn.

ANGELO.

Ihr seid recht aufgeräumt; gehabt Euch wohl!


Geht.


ANTIPHOLUS VON SYRAKUS.

Ich weiß nicht, was ich davon denken soll;

Doch denk' ich dies: es wird sich niemand grämen,

So reiches Kleinod zum Geschenk zu nehmen;

Auch seh' ich, leicht muß hier sich's leben lassen,

Wo man das Gold verschenkt auf allen Gassen.

Nun auf den Markt: auf Dromio wart' ich dort,

Und segelt heut ein Schiff, dann hurtig fort!


Geht ab.[32]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 1, Berlin: Aufbau, 1975, S. 27-33.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Komödie der Irrungen
Komödie der Irrungen
The Comedy of Errors / Die Komödie der Irrungen [Zweisprachig]
The Comedy of Errors / Die Komödie der Irrungen: Englisch-deutsche Studienausgabe (Engl. / Dt.) Englischer Originaltext und deutsche Prosaübersetzung
Die Komödie der Irrungen
Komödie der Irrungen / The Comedy of Errors (Gesamtausgabe, Band 1)

Buchempfehlung

Kleist, Heinrich von

Die Hermannsschlacht. Ein Drama

Die Hermannsschlacht. Ein Drama

Nach der Niederlage gegen Frankreich rückt Kleist seine 1808 entstandene Bearbeitung des Hermann-Mythos in den Zusammenhang der damals aktuellen politischen Lage. Seine Version der Varusschlacht, die durchaus als Aufforderung zum Widerstand gegen Frankreich verstanden werden konnte, erschien erst 1821, 10 Jahre nach Kleists Tod.

112 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon